Der Boss der Bosse

Womit niemand gerechnet hat: Schröder hatte einen Plan, und der ist aufgegangen

Schaut man den Wahlabend als Höhepunkt von Schröders Mafia-Epos, macht sein Verhalten Sinn: Es ist das Sich-daneben-Benehmen des Paten

Man muss sich Gerhard Schröder als den Paten vorstellen. Als den Boss der Bosse, dessen genialer Plan aufgegangen ist. Ohne Rückblenden wirkt Schröder am Sonntagnacht in der Elefantenrunde zwar irre, bedrogt, durchgedreht – wie er den Moderatoren ins Wort fällt, seine Konkurrentin unterbricht, die anderen in der Runde maßregelt, mit einem kiefermahlenden Dauergrinsen herumblickt. Doch schaut man den Wahlabend als Höhepunkt von Gerhard Schröders großem Mafia-Epos, macht sein Verhalten Sinn: Es ist das egomane Sich-daneben-Benehmens des Gangsterbosses, der es allen gezeigt hat und jetzt, im Augenblick seines großen Triumphs, weil er den Tunnelblick nicht ablegen kann, der ihn dorthin geführt hat, wo er nun ist, anfängt Fehler zu machen.

Hatte er nicht Recht behalten? Recht behalten gegen alle? Gegen die gesamte Presse von der Bild über den Spiegel und die FAZ bis zur taz? Recht behalten gegen den Koalitionspartner und sogar gegen seine eigene Partei, die ihm zunächst höchst zögerlich in seinen Wahlkampf gefolgt ist? Recht behalten gegen die Meinungsforscher, die ihre Fragekataloge so einrichteten, dass das feindliche Lager viel zu hohe Werte bekam? Recht behalten gegen die Deutschland-steht-am-Abgrund-wir-brauchen-strukturelle-Reformen-Schwätzer, die ihn zu seiner Agenda 2010 noch unterstützt, bei der Aussicht auf eine schwarz-gelbe Koalition aber fallen gelassen hatten?

Es ist wie im Film, die Rückblenden stellen sich fast automatisch ein: der einsame Boss, dessen Vorherrschaft über die Stadt von einer anderen Familie bedroht wird, und der einsam seinen riskanten Plan zur Machterhaltung beschließt. Als es der anderen Familie gelingt, ihren Mann auf den Posten des Polizeipräsidenten zu hieven, wird klar, dass etwas passieren muss, als sie das wichtigste Stadtviertel übernehmen, ist es so weit.

So ungefähr dürfte es gewesen sein, nachdem Horst Köhler Bundespräsident geworden und Nordrhein-Westfalen verloren gegangen ist. Schröder sitzt in seinem Hauptquartier und denkt sich: Es reicht. Nicht nur, dass ich CDU-Politik machen muss, die gewinnen auch eine Wahl nach der anderen, während mir angelastet wird, die Existenz der eigenen Partei zu riskieren. Eine Entscheidung muss her. Soll die andere Seite doch kommen mit ihren Konzepten. Wir lassen sie ins offene Messer laufen. Wir wiegen sie in Sicherheit und sie werden an ihrer eigenen Kraft scheitern. So läuft der ganze Wahlkampf, und dass es niemand bemerkt, ist entscheidender Teil von Schröders Plan. Als der Ruf von Paul Kirchhof in Merkels Kompetenzteam als Coup bejubelt wird, weiß Schröder: er hat es geschafft – nur sagen darf er es niemand, das würde den Erfolg gefährden.

Bis Sonntagabend. Jetzt muss er es sogar sagen, denn so eindeutig ist der Sieg nicht ausgefallen, dass die Macht schon eindeutig zurückgewonnen wäre: Er muss die Gegner auch verbal in den Staub treten, um das fehlende Eckchen Macht nun durch Enthüllung zu erobern, als einziger Recht gehabt zu haben. Was nicht ganz frei von der großen Tragik ist, die jedes Gangsterepos trägt: Schröder lässt durchschimmern, wie sehr diese Erniedrigung des Gegners ihm persönliche Genugtuung ist. Dadurch riskiert er seinen Sieg: denn am Ende geht es ums Geschäft. Bandenkriege dürfen nicht persönlich werden. Nach dem Blutvergießen muss verhandelt werden. TOBIAS RAPP