„Sie ist sehr einäugig“

Wie keine zweite Lobby-Organisation hat die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ die Medien in diesem Wahlkampf beeinflusst. Autorin Cerstin Gammelin über Stärken und Schwächen der Initiative

INTERVIEW HANNAH PILARCZYK

taz: Frau Gammelin, ein Großteil der Medien war in diesem Wahlkampf sehr wirtschaftsfreundlich eingestellt. In Ihrem Buch „Die Strippenzieher“ beschreiben Sie die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INMS) als wirkungsmächtigste wirtschaftsliberale Lobby-Organisation, die ihre Botschaften fast ungefiltert in den Medien platzieren kann. Wie stark hat die INMS den Wahlkampf beeinflusst?

Cerstin Gammelin: Der Einfluss war unübersehbar. Denn der Charme der INMS ist, dass zu ihren so genannten Botschaftern führende Köpfe aus Wirtschaft und Politik gehören – zum Beispiel Friedrich Merz oder der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser. Da wir gerade so etwas wie eine wirtschafts- und sozialpolitische Wendezeit erleben, sind diese Köpfe und ihre Meinungen überall gefragt. So kann die INMS über ihre Botschafter tatsächlich den Mainstream der Medien beeinflussen.

Mit welchen Botschaften ist dies der INMS gelungen?

„Sozial ist, was Arbeit schafft“, ist einer der Slogans, die die INMS geprägt hat. Wobei „sozial“ hier vor allem meint, dass jeder für die Sicherung seines persönlichen Wohlstands verantwortlich ist. Die Bedeutung des Wortes in der politischen Debatte hat sich somit ein Stück weit gewandelt.

Inwiefern prägt die INMS damit den Medienmainstream? Man könnte ja auch sagen, dass sie eine neoliberale Grundhaltung einfach nur verstärkt.

Wenn man sich anschaut, wie gezielt die Initiative Botschaften in den Medien lancieren kann, dann kann man mit Fug und Recht behaupten, dass sie den Zeitgeist prägt. Schauen Sie sich nur die Berufung von Paul Kirchhof ins Kompetenzteam von Angela Merkel an. Kirchhof ist nicht nur offizieller Botschafter der INMS, Merkel stellt ihn auch noch als „Reformer des Jahres 2003“ vor – ein Titel, den ihm die Initiative verliehen hat.

Mittlerweile gilt die Nominierung Kirchhofs aber als Wendepunkt zum Schlechteren im Wahlkampf der CDU. Ist die Strategie der INMS gescheitert?

Nein, das Kirchhof-Debakel hat lediglich die Schwachstelle der INMS freigelegt: Sie hat kein sozialpolitisches Konzept. Außerdem haben die wenigsten Menschen Kirchhof als INMS-Botschafter identifiziert. Schuld an seinem Scheitern ist vor allem die CDU, namentlich die Ministerpräsidenten, die sich letztlich gegen Kirchhof gestellt haben.

Hat dieser Wahlkampf der INMS die Grenzen der Mediendemokratie gezeigt?

In gewisser Weise ja. Ich glaube, dass sie ihre Botschafter nun besser für Medienauftritte schult, damit sie unabhängiger etwa von parteipolitischer Kommunikation werden.

Im Zusammenhang mit der Schleichwerbe-Affäre in der ARD ist auch herausgekommen, dass sich die INMS bei „Marienhof“ eingekauft hat. Sie scheint in den deutschen Medien unumgänglich zu sein.

Mit zehn Millionen Euro im Jahr ist die INMS einfach eine der finanziell stärksten Lobby-Organisationen. Sie hat zum Beispiel auch den Filmemacher Günther Ederer mit 66.000 Euro unterstützt. Seine Filme „Das Märchen vom gerechten Staat“ oder „Das Märchen von der sicheren Rente“ liefen in der ARD. Mit den Geschäftsführern Tasso Enzweiler, einem ehemaligen Redakteur der Financial Times Deutschland, und Dieter Rath, dem früheren Sprecher des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, verfügt sie außerdem über zwei Kommunikationsprofis, die wissen, wie man Medien bedient.

Welche Medien sind besonders anfällig für die INMS?

Vor allem die, die selbst auf der neoliberalen Welle reiten. Doch auch die Medienkrise hat dafür gesorgt, dass Zeitungen durchlässiger für Lobby-Arbeit geworden sind. Mittlerweile sind viele Redaktionen finanziell und personell so geschwächt, dass oft aus Kostengründen auf eine umfassende Gegenrecherche verzichtet wird. Es gibt auch das andere Extrem: Die Welt hat etwa einen ganzen Recherche-Auftrag zum Thema „Die größten Jobvernichter der Bundesrepublik“ an die INMS vergeben.

Die FAZ hat aber genügend Geld und Personal, um gründlich zu recherchieren. Trotzdem finden sich hier zahlreiche Meldungen der INMS wieder.

Das liegt auch daran, dass der Zusammenhang zwischen der Initiative und ihren Botschaftern oft genug nicht erkannt wird. Der grüne Finanzexperte Oswald Metzger ist so ein Fall. Er tritt als Politiker auf, verkündet aber nicht selten Botschaften der Initiative. Bei ihm weiß man gar nicht mehr, ob er noch Politiker ist oder schon Vortragsreisender. Außerdem haben sich einige Medien auch bewusst auf die neoliberalen Botschaften der Initiative eingelassen.

Gibt es ein Gegenmittel gegen die INMS?

Nein, ihrem Einfluss kann man sich nicht entziehen. Ich würde aber auch nicht sagen, dass die Initiative prinzipiell schlecht ist. Sie ist nur sehr einäugig. Journalisten müssen die Zahlen der INMS nachrecherchieren, sie als Lautsprecher des Kapitals identifizieren und immer wieder ihre Schwachstelle in Sachen Sozialpolitik aufzeigen.