Traum vom Cheeseburger

Fast alle Lebensmittel enthalten Zusätze, die aus Getreide gewonnen werden. Wer an einer Unverträglichkeit des Getreide-Eiweißes Gluten erkrankt, muss sein ganzes Leben umstellen

„Ich dachte mir, nur Alkoholiker brauchen Selbsthilfegruppen“

Von Kristina Allgöwer

Wenn Jacky Spieker in ein Restaurant geht, fällt sie den Kellnern auf die Nerven. Sie fragt, ob die Pommes frites im gleichen Fett gebacken werden wie die Hähnchen-Nuggets. Sie will wissen, ob die Steaks auf dem gleichen Grill gebraten werden wie die panierten Schnitzel. Sie bittet um einen neuen Löffel, weil ihrer einen Keks berührt hat. Und sie erkundigt sich, ob sie zum Salat ihr mitgebrachtes Brot essen darf. Jacky Spieker muss das alles fragen, denn sie leidet an Gluten-Unverträglichkeit.

Etwa jeder 800. in Deutschland leidet an einer Unverträglichkeit des Getreide-Eiweißes Gluten. Tritt die Krankheit im Kindesalter auf, wird sie Zöliakie genannt, bei Erwachsenen spricht man von Sprue. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Schätzungen gehen davon aus, dass jeder 300. betroffen ist, ohne es zu wissen. Die Symptome sind vielfältig und werden häufig falsch interpretiert: Sie reichen von Knochen- und Gelenkschmerzen bis hin zu Magenschmerzen und Verdauungsstörungen.

Auch bei Jacky Spieker hat es lange gedauert, bis ihre Ärzte die Gluten-Unverträglichkeit diagnostiziert hatten. Vor zwei Jahren traten die Beschwerden bei der heute 30-Jährigen erstmals auf. „Das kam von heute auf morgen“, sagt Spieker. „Ich konnte nichts mehr essen, ohne dass mir sofort schlecht wurde.“ Beim Arzt bekam sie Tabletten gegen nervösen Magen, dann andere, als die ersten nicht halfen. Spieker, die in einem Supermarkt arbeitet, konnte sich nicht mehr konzentrieren, hatte zuweilen enorme Fehlbeträge in der Kasse. Nach Feierabend war die Mutter eines damals achtjährigen Sohnes oft so erschöpft, dass sie sich sofort hinlegen musste. Innerhalb kurzer Zeit nahm die rundliche Frau 20 Kilo ab und bekam Haarausfall. „Meine Kunden dachten damals, ich hätte Krebs im Endstadium“, erzählt Jacky Spieker.

Nach drei Monaten wurde Spieker ins Krankenhaus Barmbek überwiesen, wo die Ärzte Gewebeproben aus Magen und Darm entnahmen. Telefonisch erhielt sie das Ergebnis: „Sie haben jetzt Sprue.“ Viel werde sich aber nicht für sie ändern, meinten die Ärzte. Dass sich ihr ganzes Leben ändern würde, hat Jacky Spieker erst aus Büchern und dem Internet erfahren.

Zöliakie und Sprue sind nach heutigem Stand weder heilbar noch durch Medikamente zu behandeln. Die erbliche Veranlagung dazu trägt etwa ein Viertel der Bevölkerung in sich. Mediziner vermuten, dass für den Ausbruch der Gluten-Unverträglichkeit eine Infektion des Darms hinzukommen muss.

Das Eiweiß Gluten ist in den Getreidesorten Weizen, Roggen, Gerste und Hafer enthalten. Bei Erkrankten führt es zu einer Schädigung des Dünndarms, so dass nicht mehr genügend Nahrungsbestandteile vom Körper aufgenommen werden können. Zöliakie- und Sprue-Patienten müssen nach einer strikten Diät leben. Glutenfreie Lebensmittel zu finden, ist jedoch schwierig.

„Eigentlich ist Gluten fast überall enthalten“, sagt Jacky Spieker. In Brot und Nudeln natürlich, aber auch in Süßigkeiten, Getränken, Kaugummis, Marmelade, Ketchup, Fertigsaucen, Lippenstiften, Medikamenten und vielen anderen Produkten gibt es Zusätze, die aus Getreide gewonnen werden. Nicht immer sind diese in der Zutatenliste auf der Verpackung vermerkt. Auf der Homepage der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (www.dzg-online.de) fand Spieker eine Aufstellung glutenfreier Lebensmittel. Oft verändert sich die Liste: „Bis vor kurzem durfte ich wenigstens noch Snickers essen“, erzählt Spieker. „Seit diesem Jahr ist auch da Gluten drin.“

Über die Zöliakie-Gesellschaft fand Jacky Spieker auch eine Selbsthilfegruppe in Hamburg. Allerdings musste sie lange mit sich ringen, bis sie sich entschloss, ein Treffen zu besuchen: „Ich dachte mir, nur Alkoholiker brauchen Selbsthilfegruppen.“ Dann aber war sie begeistert. „Die hatten alle das Gleiche. Endlich war ich mal nicht die Blöde.“ Alle zwei Monate trifft sich die Gruppe. Gerne auch mal auf ein glutenfreies Bier.

In der „Praxis am Borgweg“ in Winterhude sind Zöliakie und Sprue täglich ein Thema. Gunter Beck und Andreas Dühr betreuen etwa 70 Patienten mit Gluten-Unverträglichkeit. „Wir sehen in unserer Praxis eine stete Zunahme der Fragen um die Erkrankung“, sagt der Internist und Gastroenterologe Beck. Bei seinen Zöliakie- und Sprue-Patienten führt er jährliche Kontrolluntersuchungen durch. Wird die strenge Diät nicht eingehalten, kann das zu Unfruchtbarkeit, Darmkrebs und Knochenschwund führen. In der Praxis stehen den Patienten deshalb eine Ernährungsberaterin und eine Diätassistentin zur Seite.

Auch Jacky Spieker lässt sich am Borgweg beraten und regelmäßig untersuchen. Ihre Lebensmittel kauft sie inzwischen fast ausschließlich bei Versandhändlern im Internet oder in Reformhäusern. Die teuren Spezialprodukte kann die Familie sich leisten, weil sie auf Restaurantbesuche beinahe ganz verzichtet. Spieker möchte nicht ständig Sonderwünsche äußern.

Nach einem vermeintlich glutenfreien Sushi-Essen vor zwei Monaten hatte sie heftige Magenschmerzen bekommen. „Da liegt man dann stundenlang im Bett und fragt sich, was man falsch gemacht hat.“ Sie vermutet, dass das Sushi glutenhaltige Mayonnaise enthielt. Vier Tage dauerte es, bis sich Magen und Darm wieder regeneriert hatten.

Im vergangenen Jahr hatte Jacky Spieker aber doch einmal die Möglichkeit, beinahe so zu leben wie früher. Sie fuhr mit ihrem Mann nach Schweden, nur um einen Burger zu essen. „Dort kann man einfach zu McDonalds gehen und einen glutenfreien Cheeseburger bestellen“, schwärmt sie. „Das war mein absolutes Highlight.“