Dienst an Volk und Sozialismus via Internet

Die Kommunistische Partei Chinas hat neue, scharfe Bestimmungen zur Internetzensur erlassen. Ein chinesischer Netz-Journalist, der vor allem über Korruptionsfälle recherchiert, will sich davon in seiner Arbeit nicht behindern lassen

PEKING taz ■ Lu Wang* ist allein. Seit ein paar Wochen wohnt er in einem unmöblierten Zwei-Zimmer-Apartment im Süden Pekings. Es gibt weder Esstisch noch Stühle. Nur einen kleinen Schreibtisch für den IBM-Laptop, vor dem ein blauer Plastikhocker steht. Die Wände sind kahl. In einer Ecke liegt eine Matratze, davor ein aufgeklappter Trolley. Lu Wangs ganzes Hab und Gut. Er ist Vagabund, ein Simplizissimus des 21. Jahrhunderts.

Er fährt durch China, recherchiert Korruptionsfälle und veröffentlicht seine Geschichten auf privaten Websites im Internet, aber erst wenn er den Ort verlassen hat. So entgeht Lu Wang der lokalen Lynchjustiz, so ist er unter Journalisten im ganzen Land berühmt geworden. Lu Wang schreibt, was die staatlichen Medien nicht schreiben dürfen. Doch haben seine Nachrichten auf dem Internet erst einmal genügend Publikum erreicht, finden die offiziellen Medien einen Weg nachzuziehen. Lu Wang hat bei Fernsehen und Zeitungen viele Freunde. Er hat ihnen oft vorgearbeitet.

Seit Freitag steht wieder eine neue Geschichte von Lu Wang im Netz. Sie handelt von einem korrupten Polizeichef in einer mandschurischen Kleinstadt. Seine Frau wollte ihn von einem anderen Polizisten töten lassen, weil er ein Dutzend Geliebte hatte. Doch der Polizist plauderte statt zu töten. Lu Wang traf ihn. Nun klagt seine Story sowohl den Polizeichef als auch seine Gattin an.

Lu Wang sagt, er habe keine Angst, sich mit der Polizei anzulegen. Er meint, er helfe nur der Kommunistischen Partei, die sich die Korruptionsbekämpfung zum Ziel gesetzt hätte. Doch die Partei sieht die Arbeit Lu Wangs in einem anderen Licht. Am Sonntag ließ sie vom Informationsministerium eine neue Verordnung zur „Vereinheitlichung von Nachrichten und Informationen“ veröffentlichen. Die genauen Bestimmungen zur Internet-Zensur scheinen wie gemacht, um Leuten wie Lu Wang das Handwerk zu legen.

„Es ist die vorderste Verantwortung der Nachrichten-Websites im Internet, dem Volk zu dienen, dem Sozialismus zu dienen, die öffentliche Meinung in die richtige Richtung zu lenken und die Interessen des Landes und des Gemeinwohls zu wahren“, bestimmt die Verordnung.

Von nun an dürfen die großen chinesischen Internetportale wie sina.com und sohu.com keinen Raum mehr für unabhängige Kommentare zu staatlich vermeldeten Nachrichten bieten. Zudem müssen sich Einzelpersonen oder Gruppen, die über E-Mail-Listen Informationen versenden, als „Nachrichtenorganisationen“ registrieren lassen. Was bedeutet, dass die meisten Einzelpersonen und Nichtregierungsorganisationen ihre Infos nicht mehr legal per E-Mail versenden dürfen. Ebenso müssen bestehende Nachrichten-Websites den Meldungen Vorrang einräumen, die von den leitenden Organen ihrer Organisation auf regionaler oder nationaler Ebene herausgegeben werden. So soll etwa verhindert werden, dass eine nationale Website wie sina.com einen Provinzskandal groß herausbringt und sich durch die Nachrichtenselektion von den Parteimedien abheben kann. Das war bisher übliche Praxis auf den meisten Websites.

Die Verordnung beinhaltet 6 Paragrafen und 33 Artikel. Sie nennt elf Verbote, die Lu Wang nahezu jede weitere Recherche unmöglich machen. So sind Informationen im Internet untersagt, die „Gerüchte verbreiten“. Ferner sind Informationen verboten, die „zu illegalen Versammlungen und Demonstrationen aufhetzen“. Die Liste der Verbote ist lang: Informationen, die „die nationale Solidarität bedrohen, die die staatliche Religionspolitik, den Ruf des Staates verletzen“ – kein Bit soll darüber mehr verbreitet werden.

„Man kann das nicht ernst nehmen“, meint Lu Wang. Die Partei habe schon viele Gesetze und Verordnungen erlassen. Jeden Tag spreche sie von Korruptionsbekämpfung. „Hat das etwas genützt?“ Lu Wang will nicht glauben, dass sich alle seine Blogs blockieren lassen. Täglich wechselt er den Blog. Jetzt muss Lu Wang noch vorsichtiger werden. GEORG BLUME

* Name von der Redaktion geändert