Körper in Sprengstoffgürteln

Ist der heute in Deutschland anlaufende Spielfilm „Paradise Now“ des israelisch-palästinensischen Regisseurs Hany Abu-Assad ein antisemitischer Film?

VON CRISTINA NORD

Heute Abend wollen sich 20 bis 30 Demonstranten vor dem Berger-Kino im Frankfurter Stadtteil Bornheim versammeln, um gegen die Aufführung von Hany Abu-Assads „Paradise Now“ zu protestieren. Sie sehen in dem Spielfilm eine „Verherrlichung des antisemitisch grundierten Terrors“, wie es in einem offenen Brief an Kinobetreiber und Programmgestalter heißt. Harald Metz vom Berger-Kino nimmt es gelassen: „Wir gehen damit um wie immer.“ Wenn die Demonstranten kommen, werden sie mit „frisch gekochtem Kaffee“ empfangen.

„Paradise Now“ folgt zwei jungen Männern aus dem Westjordanland, die im Begriff sind, in Tel Aviv ein Selbstmordattentat zu verüben (siehe taz von gestern). Dem Film liegt nicht daran, seine Figuren zu verurteilen, eher sucht er nach einer kinematografischen Form der dichten Beschreibung. Er will hinsehen, wie Täterschaft sich in konkrete Alltagssituationen, in Lebens- und Familienverhältnisse einschreibt, und er nimmt dafür Einseitigkeit in Kauf. Wie sieht ein Oberkörper aus, sobald er unter einem Sprengstoffgürtel schwitzt? Wie nehmen sich die Silhouetten der Attentäter vor dem Licht der Abendsonne aus? Wie lebendig wirken ihre jungen Leiber im Gegensatz zur todesschwangeren Rhetorik der Mittelsmänner und Drahtzieher? Diesen Fragen gilt das Interesse des Films – nicht der, wie es ist, wenn man beim Busfahren in Tel Aviv um sein Leben bangen muss.

Damit betritt der Regisseur Abu-Assad ein Terrain, das Filmemacher wie Thomas Heise, Eyal Sivan, Claire Denis oder Romuald Karmakar schon seit längerer Zeit erkunden. Gleich ob sie Spiel- oder Dokumentarfilme drehen, ob sie sich mit Skinheads, Naziverbrechern oder Fremdenlegionären befassen – eine Erfahrung teilen diese Regisseure: dass ihre Arbeit Protest auslöst, weil sie Ambivalenzen zulässt, wo zu viele Leute eindeutige Aussagen erwarten.

Für die Kritiker von „Paradise Now“ ist Abu-Assads Form der thick description ein klarer Hinweis auf eine distanzlose Haltung gegenüber dem Phänomen der Selbstmordattentäter per se. „Bieten Sie antisemitischer Hetze und einem Film, der die Ermordung jüdischer Israelis feiert, keinen Raum!“, rufen sie den Kinobetreibern entgegen. Als Skandal empfinden sie nicht nur, dass der Film in die Kinos kommt, sondern mehr noch, dass die Bundeszentrale für politische Bildung ihn für den Schulunterricht empfiehlt und entsprechendes Begleitmaterial herausgegeben hat.

Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale, verwahrt sich gegen die Anwürfe. Im Gespräch mit der taz betont er die Notwendigkeit „kontroverser politischer Bildung“. „Es war uns wichtig, dass der Film nicht unkommentiert rezipiert wird.“ Wenn Lehrer sich im Unterricht mit „Paradise Now“ befassen, wenn sie den Film kritisch diskutieren, könne dies verhindern, dass Schüler türkischer oder arabischer Herkunft den Film mit naivem Blick schauen. Ihrem möglichen Bedürfnis, sich mit den Hauptfiguren zu identifizieren, werde so die Grundlage entzogen.

Auf Internetseiten wie honestly-con cerned.org liefert der Potsdamer Filmwissenschaftler Tobias Ebbrecht die politisch-ästhetische Argumentationsfolie für die Gegner des Films. Er konstruiert einen Zusammenhang zwischen den Filmen „Der Untergang“ und „Paradise Now“ – weil beide von Constantin verliehen werden. Und weil beide es dem deutschen Publikum ermöglichten, die in der Opferrolle zu sehen, die Juden getötet haben oder im Begriff sind, es zu tun. Laut Ebbrecht findet dadurch eine verhängnisvolle Verschiebung statt. Im Fall von „Der Untergang“ kann das Publikum die Sekretärinnen und die einfachen Soldaten – nicht die im Film abwesenden Juden – als Hitlers Opfer begreifen. Bei Abu-Assad sind die Selbstmordattentäter Opfer der Verhältnisse und würden dadurch zu Identifikationsfiguren für den Zuschauer.

Die Zustimmung, die der Film während der Berlinale erhielt, stellt in Ebbrechts Wahrnehmung einen antisemitischen Reflex dar – wer „Paradise Now“ etwas abgewinnt, dem attestiert er „Faszination am Sujet des Films“, also eine klammheimliche Freude am palästinensischen Terror gegen Israelis.

Genau diese Rhetorik des Verdachts macht die Angelegenheit so traurig, zumal sie sich mit einer Neigung zur mechanischen Interpretation paart. Wenn am Ende des Films eine Weißblende das Attentat und die Toten verschluckt, liest Ebbrecht dies als klaren Fall einer Ausblendung, als wolle, wer die Toten nicht im Bild zeigt, den Mord verharmlosen. Wenn eine Nebenfigur in „Paradise Now“ antisemitisch daherredet, dann sieht Ebbrecht darin ein Indiz für den Antisemitismus des gesamten Filmes. Dass einem Filmwissenschaftler eine solche Gleichsetzung von Figuren- und Filmintention unterläuft, ist grotesk.

Dahinter steht eine Kunstauffassung, die zwar alle Freiheiten in Anspruch nehmen darf, solange es um Schöngeistiges geht. Doch wo es um ernste, politische Sujets geht, muss sich Kunst auf klare Aussagen verpflichten, muss das politisch Richtige propagieren, das politisch Falsche denunzieren. „Das eindeutig Böse“ der Attentate müsse „als solches markiert werden“, sagt René Pollak, Mitinitiator des Frankfurter Protests, der taz. „Es ist grundsätzlich falsch, alles immer debattieren zu wollen.“