Geil. Ich werde zur Sau

Wenn das mal nicht den Charakter verdirbt: Zwei taz-Redakteure testen den neuen Porsche Cayman S und den neuen S-Klasse Mercedes. Aufgabenstellung: Wie lange dauert es, bis ihr den Autos verfallen seid? Zwei sekunden- und kilometergenaue Erfahrungsberichte

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Er hat gezwinkert. Ganz sicher. Als ob er die Blicke spüre, die an seinem roten Lack entlanggleiten, während die Sonne ihr Abendlicht abblendet und dem Neonlicht aus den Bodenstrahlern die Vorfahrt überlässt. Wenn es auf das Glas seiner Augen trifft, blitzt es kurz, reflektiert, und er zwinkert. Sanfte Augen hat er, zwei ovale Kleckse, die jederzeit als treue Dackelaugen durchgingen – wäre es nicht er, Cayman. Cayman S, der jüngste Sohn der Porschefamilie, kleiner als der 911, größer als der Boxter, benannt nach einem Reptil.

Lautlos ruht er auf seinem Podest, einer dunkelrot gefliesten Terrasse, angestrahlt, mitten im Hof des alten Bauerndorfes, zwischen den Häusern, die heute Hotelgäste beherbergen. Vier Sterne, Toskana de Luxe. Ruhig steht er auf seiner Bühne, während der Prosecco in den Gläsern perlt und sich die Augen an ihm nicht satt sehen können. Er, Cayman S, der Mittelmotor-Sportwagen. Braucht nur Sekunden, dann hat er uns – alle. Vor allem auch Frauen soll er erobern, kaufkräftige Fourty-Somethings, Single oder Double Income, Leistungsträgerinnen der Gesellschaft, mit Sinn fürs sinnlich Schnelle – so Porsches Wille geschehe.

Wir sollen als Erste verführt werden, deshalb wurden wir eingeflogen. JournalistInnen, Testobjekte, bereit zum Two-Days-Stand, versüßt mit Häppchen, Büfett, Diner; Prosecco, Wein, Grappa. Mein Mitfahrer und ich wählen Cayman S in Porsche-Rot. „Ladys first“, sagt er, während sich die Fahrertür wie von selbst öffnet und ich schon versinke im tiefen schwarzen Ledersitz, fast wie von selbst. 10,6 Liter auf 100 Kilometer. 295 PS. 58.529 Euro. Okay.

Okay.

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Der Motor springt nicht an. Ich muss näher ran. Schon surrt mein Sitz per Elektronik auf das Steuer zu, mein Fuß presst die Kupplung auf Anschlag, jetzt lässt sich der Zündschlüssel – links, er ist links bei Porsche – drehen, jetzt donnert der Motor los. Es ist der Sound, der fahrgeil macht. Da hilft kein Tape, kein Radio, kein Verstand. Die Kieselsteine knirschen, Cayman S rollt aus der Hofeinfahrt. Go.

Go!

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Wir werden überholt. Hmm. Es ist ein anderer Cayman, in Porsche-Silber. Zwei der gut 40 JournalistInnen, die bei Siena ihre Motoren und Hormone über die Serpentinenstraßen jagen, die nach einer Stunde harter Arbeit am Fahrgerät glücksverstrahlt wieder aus den Sitzen klettern werden. Gas. Weiter. Bremsen, bremsen! Ein Lkw blockiert auf der Gegenfahrbahn eine scharfe Linkskurve. Stopp. Okay, ich lasse mich auf einen Fahrerwechsel ein. Versinke rechts, im Beifahrersitz. Klappe den Schminkspiegel nach unten. Doppelt beleuchtet. Perfekt. Klappe das Handschuhfach auf. Köfferchen-Stauraum. Perfekt. Bei Porsche dominiere immer noch die männliche Komponente, wird ein Unternehmenssprecher später auf der Pressekonferenz erläutern, aber sie, in „Stuagart“, hätten durchaus nichts dagegen, wenn sich der Frauenanteil steigern ließe. Schließlich steige ja auch die Kaufkraft der Frauen. Ich tapse auf ein Feld am Multimedia-Display über der Mittelkonsole. Es rauscht. Hmm.

Plötzlich …

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… heult Mister Cayman S auf. Drückt mich tief in den Sitz zurück, jagt ein schauriges Kribbeln durch Bauchrückenbeinebrust –

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Raserrausch. Ganz ohne Autobahn.

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Cayman ist auf 100. Von null. Trotz Kurve, wegen Kurve. Gas. Wieder ein Cayman S, diesmal vor uns, Porsche-Gelb. Hmm. Gas. Unser Cayman zieht vorbei, als liefe er an einer unsichtbaren Schnur, schmiegt sich in die Serpentinen, wackelt kurz mit dem Heck, als er etwas zu schnell in die Rechtsbiege rast – und weiter. Plötzlich ist die Welt ganz einfach. Geräuschlos fliegt sie an der Frontscheibe vorbei, die Weinberge schlummern im satten Grün, so lässt sich jeder Stillstand genießen. Aus den Boxen singt Kettcar: „Das Gute an schlechten Zeiten, Pferde satteln, weiterreiten.“ Gas. Vorfahrt für den Merkelianer in dir. Ihn will der Cayman S eigentlich. Angie und Cayman – eine Affäre für die Landeroberung. Die Deutschland AG hilft sich ja seit dieser Woche wieder selbst, Porsche sei Dank. Der Prozess der Wachstumszivilisation ist nicht zu bremsen, der Straßenmarkt wird wieder und wieder weiter erobert. Plötzlich vor uns, mitten im schönen Bild der Windschutzscheibe: ein dreirädriger Roller. Stopp. Okay. Fahrertausch. Ein letztes Mal. Einmal noch. Nur noch eine Fahrt …

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Gas. Ich gebe Gas. Bremsen, kurz, hart. Kurve. Beschleunigen, lange, laut. Gas. Der Motor donnert nicht mehr, er brummt. Cayman ist versöhnt. Endlich hat er auch mit mir Spaß an der Fahrt. Ich schlucke – Ich auch.

Am Straßenrand reißen Frauen, Männer, Jungs, Mädchen, Alte und Ältere die Arme hoch. Man sieht ihre Münder lautmalen. Fenster runterfahren lassen, Fahrtwind, Jubel. „Bella machina!“ So ist Italien. Zu Hause schenkt die Umwelt einem Cayman auf 100 im Dorf Kopfschütteln – wenn er Glück hat. Sozialprestige versus Leidenschaft. So ist Mittedeutschland. Dabei hat längst auch der 911 sein Rambo-Image abgestreift. Porsche ist das Manufactum-Angebot unter den wohl geformten Welteinrichtungsobjekten. Design und Fahrleistung. Eleganz und Tempo. Ökonomischer Mehrwert für alle. Mit Porsche hat die Autolandschaft ihre erste schwarz-grüne Allianz. Ab 2010 kommt der Hybridmotor. Dann, ja dann … Ich gebe Gas. Noch ein letztes Mal.

59 Min 59 sec

Der Cayman rollt in den Hotelhof zurück. Der Motor schlummert ein. Klackert noch ein wenig. Cayman ruht. Er könnte schon wieder. Jederzeit. 12 Stunden später, nach sanfter Landung, wird der Taxifahrer am Flughafen in Berlin grinsen, mein Gepäck im Kofferraum verstauen, an seiner Frontscheibe werden Wimpel hängen, rot, ein bisschen gelb, mit dem Pferd – hey! – der Deutschtürke aus Kreuzberg ist Ferraristi. Gut so das alles.

SUSANNE LANG

Kilometer 0, Mailand–Malpensa

Damit das von Anfang an klar ist: Das mit uns kann keine Zukunft haben. Die Klassenunterschiede sind zu groß. Du bist S-uper, aber auch S-auteuer. Ich fühle mich als R-adfahrer wohl. Wir kommen aus verschiedenen Welten. Und trotzdem haben deine Erzeuger mich eingeladen. Knapp zwei Tage haben wir Zeit, uns kennen zu lernen, gemeinsam durch die Alpen zu fahren. Gut – in diesen Wochen wirst du mehreren hundert anderen Journalisten auf die gleiche Art angepriesen. Hast du das wirklich nötig? So S-ouverän stehst du am Flughafen-Hotel, so S-tilvoll, schon S-chön. Der S-ilberne S-tart-Knopf, du s-chnurrst … Hat alles keinen S-inn mit uns – aber das klären wir danach...

Kilometer 49,5 – Auf der A 9

Knapp 90.000 Euro Listenpreis, 388 PS, weder politisch noch ökologisch korrekt. Ein paar Skrupel melden sich. Wir lassen es lieber langsam angehen, vorsichtiges Spiel mit dem großen Knopf zwischen den Sitzen. Der steuert das Multifunktionsdisplay am Armaturenbrett. Command-System heißt das hier. Klick, klick, wie bei der Computermaus. Die Vordersitze erscheinen im Display, jede Wulst kann man einzeln anklicken – und sich bei Bedarf massieren lassen.

Klick nach vorn, die Klimaanlage verströmt wohltemperierte Luft. Modus: „Diffus“ – sehr passend in diesem frühen Stadium. Klick, der CD-Wechsler erscheint. Nummer eins bis drei – das S-Klasse-Radio mit Musik und einem jungdynamischen Moderator, der dich bewirbt. Braucht niemand. Auf CD 4 singt Anna Netrebko schöne Opernarien. Wie im Werbespot, mit der richtigen CD sogar in Dolby-Surround. Dein Navi sagt mit sanfter Stimme, wo ich lang muss. Das Distronic-Plus-Radar sorgt für genügend Abstand zum Vordermann und regelt gleichzeitig die Bremskraft entsprechend. Der Tempomat schaltet sich unmerklich ein. Nicht mehr denken, nur noch genießen. Sei ehrlich, so machst du das doch mit jedem …

Kilometer 113,7 – Fatoria Amorosa

Kleine Pause mit frisch gepresstem Obstcocktail und italienischen Häppchen. Das ist gut, denn gerade warst du ein wenig empfindlich. Ist es denn noch nie passiert, dass jemand auf der Suche nach der Sitzbelüftung einen falschen Knopf drückt? Muss man denn da so überreagieren?

Schluss mit Annas Arien – Schluss mit dem Navi. Na gut – ich traue mich auch ohne. Es gibt ja ein Road-Book an Bord, die Strecke auf den Meter genau von Mercedes protokolliert. Sogar die Radarkontrollen sind drin. Nur der skeptische italienische Grenzer nicht. Raus aus der Schlange, den Kofferraum auf, Seitenklappen durchsucht „Have you got Traveller Checks?“ Dass du mich in so eine Lage bringst. Als würde ich Geld in die Schweiz schmuggeln wollen. Aber so ganz cool bist du auch nicht geblieben. Beim Rangieren an der Grenze hätten deine Sensoren und deine Rücksichtkamera doch vor dem Betonpfeiler warnen müssen. Oder habe ich die auch abgeschaltet? Na ja, ist ja noch mal gut gegangen. Der junge Herr von Mercedes, dem ich vom kaputten Command-System erzähle, lächelt verständnisvoll – und drückt auf einen Knopf. Alles wieder an, alles wieder gut …

Kilometer 172,3 – vor dem San-Bernadino-Tunnel

Stau – eine junge Dame mit Mercedes-Stern klopft ans Fenster und reicht walisisches Wasser in schicken Flaschen zur Erfrischung. Die Halterung in der Mittelkonsole ist nicht tief genug, das Netz im Fußraum löst sich aus seiner Halterung. „Alter S-Klasse-Fehler“ lautet der Kommentar des weiblichen Testprofis neben mir. Sie ist entzückt davon, dass die taz S-Klasse fährt. Schließlich wählt sie auch links, als einzige in ihrem Bekanntenkreis. Beruflich hat sie eine PR-Agentur, privat fährt sie BMW. „Wir sind übrigens hier in der Lifestyle-Gruppe, nicht bei den langweiligen Technik-Freaks.“ Und linke Gesinnung und Genuss schließen sich doch nun wirklich nicht aus. Ich stimme zu – du kämpfst wirklich mit allen Mitteln.

Kilometer 173, 4 – Im Tunnel

Jetzt zeigst du mir deine Qualitäten bei Nacht. Ein Klick, und wo früher der Tacho war, erscheint ein Videobild. Mit Infrarotstrahlen kannst du nämlich im Dunkeln weiter gucken als ich. Da können sich scheue Rehe und einsame Wölfe auf nächtlichen Straßen ein wenig sicherer fühlen. Soll keiner sagen, du denkst nicht an die anderen.

Kilometer 204,3 – Julier-Pass

Ein Knopfdruck, Automatik-Getriebe und Fahrwerk stellen von „Komfort“ auf „Sportlich“ um. Immer schneller die Serpentinen rauf, sind ja nicht meine Reifen. Die Warnung der Distronic lasst sich auch ignorieren, der Wagen vor mir kommt ganz nah. Aber nur kurz. Kommt wer? Ja – ich! Links rüber, ein Tipp auf das Gaspedal, dann ist der Nebenmann im Rückspiegel. Geil. Ich werde zur Sau – und du bist schuld! Auf einem Parkplatz lässt sich ein Kollege mit deiner kleinen Schwester fotografieren. Der hat jetzt was für seine Sammlung. Wollen wir auch? Verzeihung – war nur so eine Idee …

Kilometer 463,9 – St.Moritz

Kühles Mercedes-Design im Ballsaal des Grand-Hotels. Mit einem Kran haben sie dich hier hineingehievt und auf einen Drehteller gestellt. Ein paar Dutzend Journalisten sitzen an langen Tischreihen. Jeder Gang des Dinners stammt von einem Staatsbesuch, am besten schmecken die Kalbsmedaillons zu Ehren von Königin Elisabeth.

Vor der Tür stehen Alphornbläser und die S-Klassen der vergangenen Jahrzehnte, alle von Promis benutzt. Die kriegt jeder Journalist geschenkt – als Modell, versteht sich. Ach ja, eine Pressekonferenz gab es auch. Mein Erlebnis mit dem angeblichen „intuitiv zu bedienenden“ Command-System bringt eine Extra-Nachhilfe-Viertelstunde in deinem Cockpit gemeinsam mit dem Mercedes-Chef-Sprecher. Doch, doch – war meine Blödheit – ist schon alles sehr intuitiv. „Warum haben Sie eigentlich die taz eingeladen?“ „Wir haben keine Berührungsängste!“ Und außerdem hat das Auto ja weltweit als Erstes ein Umweltzertifikat vom TüV bekommen. Die Abgaswerte liegen deutlich unter Euro-4-Norm, Partikelfilter serienmäßig und der Verbrauch bei rund zehn Litern auf hundert Kilometer. Und wenn erst der Blue-Tech-Hybrid kommt, sogar nur 7,7 Liter. Na, wenn das so ist. Aber ist das für einen S-Klasse-Fahrer – Durchschnittsalter 55, jeder Vierte davon mit Chauffeur, wirklich entscheidend? Der hört doch lieber auf den Designchef: „Eine Portion mehr Status als der Vorgänger“. Und dann lobt er den „sympathischen, aber bestimmen Blick“ und die „überspannten Schultern“. Dass du ein wenig aussehen sollst wie der große BMW, weist er natürlich brüsk zurück.

Kilometer 591,4 – Comer See

Ein Hauch von Herbst liegt in der Spätsommerluft, die durch das Schiebedach hineinströmt. Es könnte ja fast schöner nicht sein, der See, die Sonne, Annas Arien … aber heute Nacht, in der kühlen Bergluft, habe ich eine klare Entscheidung gefällt. Ich fliege zurück – und du bleibst hier. Ich gebe den Schlüssel ab und schau dich noch mal an. Was willst du schon im Berliner Wedding? Da hätte ich doch immer nur Angst um dich. Ich hatte es ja von Anfang gesagt – aus uns wird nichts. Ich lass die Sonnenbrille auf, die Hostess bringt ein Glas Franciacorta. Kein Grund zur Traurigkeit, es gibt so viele, die dich wollen. Und wenn du mit einem von ihnen mal des Nachts auf der Landstraße unterwegs bist und dein Infrarotstrahl mich trifft – dann freue ich mich über ein kurzes Lichtzeichen. Aber bitte fahr weiter. Es ist besser so …

STEPHAN KOSCH