Ussamas Reporter

VON DIETMAR BARTZ

Am 26. Februar 2001 befahl Mullah Mohammad Omar, alle Standbilder in Afghanistan zu vernichten. Sie stellten Gotteslästerung dar und dienten dem Götzendienst, meinte der Führer der seit fünf Jahren herrschenden Taliban. „Nur Allah der Allmächtige verdient es, angebetet zu werden“, schrieb der Mullah: „Was wir zerstören, sind doch nur Steine.“ Bedroht waren auch auch die beiden riesigen, mehr als 1.500 Jahre alten Buddhastatuen im Tal von Bamijan, einst Ausdruck eines reichen religiösen und wirtschaftlichen Lebens und später touristische Hauptattraktion des Landes. Nach mehr als zwei Jahrzehnten Krieg drohte damit der Verlust der wichtigsten Zeugen für die buddhistische Vergangenheit Afghanistans.

Zwei Wochen später gingen die Aufnahmen von der Zerstörung der Buddhas erst über den arabischen Fernsehsender al-Dschasira und dann rund um die Welt. Eine Sensation: Denn die Taliban hatten jede Bildberichterstattung strikt untersagt. Zu verdanken ist diese Dokument der Barbarei Taysir Alony, einem Reporter des arabischen Fernsehsenders. Das Schicksal der Statuen wird am Montag auch die Eröffnung des Dokfilmfests in Leipzig bestimmen. Dann führt der Schweizer Dokumentarfilmer Christian Frei, der schon das oscarnominierte Porträt des „War photographer“ James Nachtwei gedreht hat, sein neues Werk vor: „Giant Buddhas“. Noch einmal sind die einzigartigen Aufnahmen von der Sprengung der in den Fels gehauenen Riesenplastiken zu sehen. Und in einem Interview zu Beginn von Freis Film schildert Alony auch die Umstände des Zustandekommens der Bilder aus Bamijan.

Wer ist Alony wirklich?

Zum Zeitpunkt dieses Interviews war Alony, der bekannteste Fernsehreporter der arabischen Welt, noch nicht wegen Mitgliedschaft im Terrornetzwerk von al-W Qaida verhaftet – am Montag dieser Woche wurde er in Madrid wegen Unterstützung der Organisation zu sieben Jahren Haft verurteilt. Alony soll dem spanischen al-Qaida-Statthalter Barakat Yarkas durch nachweisbare Botendienste, etwa den Transport von einigen tausend Dollar zu Vertrauten in Afghanistan, und durch andere Gefälligkeiten geholfen haben. Ist Alony also ein Handlanger der Terroristen, wie die Madrider Richter glaubten? Oder doch ein Journalist, der unter hohem Einsatz Bilder bringt, die kein anderer Kollege hat?

„Journalistischer Ehrgeiz“, so das Verdikt vom letzten Montag, soll der Antrieb für seine intensive Beschäftigung mit al-Qaida und den Taliban gewesen sein. Mit ihnen hatte er sich schon Mitte der Neunzigerjahre intensiv beschäftigt und damals Barakat Yarkas kennen gelernt. Aufgrund seiner Fachkenntnis schickt al-Dschasira Alony 1999 als Korrespondent nach Kabul. Der Reporter hat immer wieder darauf hingewiesen, dass alle seine Beziehungen zu Al-Qaida-Leuten in Spanien und Afghanistan professioneller Natur waren. Doch im Ergebnis, meint die Strafkammer des Nationalen Gerichtshofs in Madrid jetzt, hat Alony die Schwelle zur Mittäterschaft klar überschritten.

Der Vorwurf, als Sprachrohr fundamentalistischer Propaganda zu fungieren, ist Alony nicht neu. Er war der Journalist, dem Ussama Bin Laden seine erste Videobotschaft nach den Anschlägen auf das World Trade Center hat zustecken lassen; diese Ausstrahlung hat al-Dschasira weltweit bekannt gemacht. Alony selbst wurde berühmt, weil ihm vier Wochen nach den Anschlägen das erste Interview mit dem Al-Qaida-Chef gelang. Vor allem dieses Interview, auf das sich die Ermittler in dem spanischen Prozess immer wieder beriefen, schien ihnen als Beleg für Alonys Mitgliedschaft bei al-Qaida zu dienen.

Ein absurdes Indiz, denn jeder Profijournalist hätte sich nach einer solchen Gelegenheit die Finger geleckt. Außerdem war Alony zu diesem Zeitpunkt der letzte ausländische Journalist in Kabul. Nebenbei: Al-Dschasira hat das Material gar nicht gesendet, weil Alony bei Bin Laden nicht nachfragen durfte und für den Fall, dass es bearbeitet ausgestrahlt würde, bedroht wurde. Teile daraus wurde der Öffentlichkeit erst im Februar 2002 bekannt, als CNN Auszüge ausstrahlte. In ihrer Verurteilung betrachtet die Strafkammer das Interview denn auch nicht mehr als Beweismittel.

Fragwürdig ist Alonys journalistische Arbeitsweise dennoch – und sie lässt sich an Freis Film gut erkennen. Während die Taliban die Zerstörung vieler kleinerer Kunstwerke in den Museen offenbar innerhalb weniger Tage bewältigten, scheiterten sie im Bamijan-Tal an der schieren Größe der Aufgabe. Zunächst, lässt Frei in seinem Film den Anwohner Sayyed Mirza erzählen, hätten sich die Taliban dort sogar geweigert, den Befehl auszuführen. Das deckt sich mit der offiziellen Nachrichtenlage: Nach Angaben von AIP begann die Beschießung der Großplastiken durch die Milizen erst am 2. März.

Sie verlief wohl recht dilettantisch. Obwohl Panzer, Raketen und Maschinengewehre eingesetzt wurden, blieben die Schäden zunächst gering. Auch die Minen, an den Füßen aufgeschichtet und gezündet, brachten keinen Fortschritt im Zerstörungswerk. Deswegen mussten die Profis von al-Qaida her. „Die Afghanen selbst hatten keine Ahnung, wie man richtig sprengt“, sagt Mirza. „Die letzten Explosionen wurden von pakistanischen und arabischen Ingenieuren geleitet.“ Am 8. und 9. März zertrümmerten gewaltige Explosionen die Buddhas. Damit war das Werk getan.

Kurz zuvor tauchte Alony dort auf, obwohl die Taliban strikte Anweisung gaben, keine Presseleute oder Fotografen ins Tal zu lassen. Er erzählt, dass er, als Taliban getarnt, aufgrund guter Kontakte auf geheimen Wegen ins Tal gelangte. „Niemand merkte, dass ich Journalist bin. Ich hatte ständig Angst, von den Taliban entdeckt und gefangen zu werden.“ Die Aufnahmen der Sprengung gelingen, al-Dschasira strahlt sie zehn Tage später aus – und Alony hat seinen ersten Scoop gelandet.

Journalismus für al-Qaida

Alony hatte Angst vor den Taliban, die die Kulturvernichtung als internen und legitimen religiösen Akt betrachteten. Die bildbewussten Al-Qaida-Leute musste er aber nicht fürchten, vielleicht konnte er sogar in ihrem Schutz filmen – alle großen Aktionen von al-Qaida setzen auch auf die visuelle Botschaft und erhalten so erst ihre eigentliche Durchschlagskraft. Selbst Frei spürte beim Schnitt des Films „gewisse Zweifel“, ob Alonys Darstellung wirklich stimmt.

Abstandslos gibt Alony auch die politische Funktion der Kulturvernichtung wieder. Die UNO hatte ein Embargo gegen Afghanistan verschärft, weil die Taliban Ussama Bin Laden nicht ausliefern wollten, der bereits zwei Anschläge auf US-Botschaften in Afrika mit 220 Toten zu verantworten hatte. Zugleich herrschte eine schwere Hungersnot im Land, bei der bereits hunderte von Kindern gestorben waren. „Mit der Zerstörung der Buddhas wollten die Taliban der Welt ins Gesicht spucken“, meint Alony, „denn die Welt kümmerte sich einen Dreck um die Tragödie in Afghanistan. Erst als die Unesco ins Spiel kam … der historische Wert der Statuen …, nun war es plötzlich nicht mehr egal.“

Die Bevölkerung in Afghanistan nur als Opfer einer skrupellosen US-und UN-Strategie darzustellen und die menschenverachtende Politik der Taliban allein als Reaktion darauf zu betrachten reicht allerdings nicht. Auch bei Alony regten sich die Schuldgefühle, nachdem das Hochgefühl über seinen Scoop verflogen war: „Ja, ich war glücklich über diesen Knüller. Doch was das alles bedeutete … dieser Verlust von Geschichte … realisierte ich erst, als die Bilder ausgestrahlt wurden.“

Alony, der Reporter aus dem Tal von Bamijan, scheint wenig gemein zu haben mit dem Alony im Madrider Gefängnis. Aber vielleicht sind der Journalist, der kein Risiko scheut, und der verurteilte Terroristenhelfer, nur zwei Sichten auf die Person: ein Mensch, der Nachrichten und Bilder aus dem Dschihad bringt. Ohne selbst ein Gotteskrieger zu sein. Aber auch kein Journalist, wie er in den Lehrbüchern des Westens verlangt wird – der die Bilder will, die nur Alony lieferte.