Live bis 200 zählen

Dilettantisch, aber charmant: „In Concert“ in der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt

Sergej Jensen und Michaela Meise waren nervös. Erstmals würden sie schließlich gemeinsam Coverversionen der ehemaligen Velvet-Underground-Sängerin Nico live performen, sagten sie. Die beiden und ein dritter Mann an den Percussions verspielten sich andauernd, gerieten aus dem Takt, diskutierten die Songabfolge. Ihr Auftritt war dilettantisch, hatte aber Charme. Man wurde sich plötzlich bewusst, dass der Rahmen, in dem sie spielten, absolut Sinn machte.

Denn dieser schlauchartige Raum in der Frankfurter Schirn Kunsthalle, in dem eine Woche lang in der Reihe „In Concert“ Künstler ihre Band- und Popprojekte vorstellen, bot ihnen den Schutz, den sie in einem normalen Club nicht bekommen hätten. Man rezitierte Nico-Lieder vor einem Publikum, das dankbar jeden „Fehler“ als Teil der Performance rezipierte. In einem richtigen Club hätte man es kaum ertragen, wenn einer auf die Bühne tritt, Texte von Nico-Songs vorträgt und dabei so tut, als würde er sie erstmals lesen.

Das Wechselspiel zwischen Pop und Kunst auszuloten ist nichts Neues, obwohl die Schirn behauptet, es gebe in der aktuellen Kunst die Tendenz, sich verstärkt in Bands zu formieren. Keine Biennale ohne einen Jarvis Cocker, der auf einer Party Platten auflegt, und wer wissen will, wie Popmusik von ehemaligen Kunsthochschülern klingt, braucht sich nur die neue Platte von Franz Ferdinand anhören. Der Rest findet sich unter „Sound“- oder „Record-Art“.

Interessant an der „In Concert“-Reihe ist nun, dass ganz bewusst der Dreh „Künstler goes music“ gewählt wurde – und nicht umgekehrt. Dass mit Teilnehmern wie dem Leipziger-Schule-Maler Martin Eder oder dem Turner-Prize-Gewinner von 2001, Martin Creed, also dezidiert Künstler ausgewählt wurden, deren wenig bekannte Affinität zur Musik somit konzeptuell herausgearbeitet werden soll.

Woran es liegt, dass das Crossover-Potenzial der Reihe vom Frankfurter Publikum kaum angenommen wurde, ist wieder eine andere Frage. Popfans haben ja eine natürliche Abneigung gegen Kunstsnobismus, und die Schirn machte sich auch betont keine Mühe, diese abzumildern. Doch gerade wo aktuell New und No Wave fröhliche Urstände feiern, hätten ruhig ein paar mehr Zuhörer den Weg zu Martin Creeds Auftritt finden können, der die „In Concert“-Reihe einleitete. Creed verstand es, den Radikalminimalismus seiner Kunst in erfrischender Weise auf seine Musik zu übertragen. Er an der Gitarre und zwei Frauen an Bass und Schlagzeug schafften es vorzüglich, den primitiven Gestus von Punk intellektuell aufzuladen, den Anspruch einer sich als antikünstlerisch verstehenden Musik mit Kunst zu versöhnen.

So sang Creed in seinem Stück „Nothing“ auch nicht mehr als eben: „nothing“, und das reichte auch. Und aus „One, two, three, four“, dem Einzählklischee der Rockmusik schlechthin, wurde die endlose Aufzählung von nichts als Zahlen bis „two hundred“. Dieser Stumpfsinn machte immerhin mehr Spaß als die meisten Texte, die man sonst so aus der Popmusik kennt.

ANDREAS HARTMANN