„Hätten wir seine Gesinnung erkennen können?“

An der Braunschweiger Waldorfschule arbeiten Kolleguim, Schüler und Eltern ihre Vergangenheit mit einem rechten Lehrer auf

„Wir haben ihn verkannt.“ Noch heute ist der Geschäftsführer der Braunschweiger Waldorfschule, Michael Kropp, sehr berührt. Im November vergangenen Jahres musste er das Arbeitsverhältnis mit dem Lehrer Andreas Molau aufheben und den Schulbesuch von dessen Kindern untersagen. Denn der beliebte Waldorflehrer hatte eine Beurlaubung beantragt, um bei der sächsischen Landtagsfraktion der NPD und deren Parteizeitung Deutsche Stimme mitzuwirken. Die Schulgemeinschaft in der niedersächsischen Großstadt war entsetzt. Sie drohte, auseinander zu brechen, räumt Kropp ein. Mit vielen Projekten versucht die Schule nun, die Situation aufzuarbeiten. Abgeschlossen ist die Reflexion nicht.

Man mochte das gar nicht glauben“, erzählt eine Mutter. Viele im Kollegium und der Elternschaft konnten sich nicht vorstellen, dass sie in den acht Jahren, in denen Molau Deutsch und Geschichte unterrichtet hat, seine Gesinnung nicht erkannten. „Waren wir blind?“, fragt sie sich, und eine andere Mutter meint: „Die Familie hat uns getäuscht.“ Vor allem, dass die Tochter und der Sohn gehen mussten, belastet die Schulgemeinschaft aus 350 Eltern sehr.

In einem Abendseminar griff Wolfgang Gessenharter diese Verunsicherungen auf. Seit Jahren arbeitet der Professor an der Hamburger Helmut-Schmidt- Universität zur „Neuen Rechten“, jenem Spektrum des Rechtsradikalismus, in dem sich Molau als Redakteur der Jungen Freiheit und als Autor von „Alfred Rosenberg – Der Ideologe des Nationalsozialismus“ im extrem rechten Verlag Siegried Bublies bewegte. Bei dem Seminar, an dem mehrheitlich Eltern teilnahmen, erklärte Gessenharter, dass diese rechten Intellektuellen eine „kulturelle Hegemonie“ anstreben, indem sie versuchen, Diskussionen zu beeinflussen. „Hierbei betreiben sie eine politische Mimikry“, betonte er. „So bewusst war mir das nicht“, sagt Kropp, „wenn Molau von Gemeinschaft sprach, unterstellte ich, dass er an eine offene Gesellschaft dachte.“

Solche Täuschungen bemühten sich Gessenharter und eine Kollegin auch in der ehemaligen achten Klasse Molaus aufzuarbeiten. „Viele der etwa 30 Kinder waren sehr sauer“, berichtet er, „und fragten sich, ob sie ihn nicht früher als ‚Nazi‘ hätten erkennen können.“ Im Dialog versucht Gessenharter, den Schülern das „Gefühl des persönlichen Versagens“ zu nehmen. Manche Lehrer und Eltern, die eng mit Molau befreundet waren, leiden ebenso darunter. Bei einer Veranstaltung für Zehnt- und Elftklässler brach unter den über 75 Schülern der Waldorfschule diese Debatte erneut auf. Verständlich, meint Kropp. „Es macht uns allen Angst, dass wir das nicht bemerkt haben“, sagt er und erinnert daran, dass sie den ehemaligen Lehrer wegen einer Internetdarstellung zu einem „Molau“ mal ansprachen. Einer Familie war aufgefallen, dass Molau die Redaktion der Jungen Freiheit verlassen musste, weil unter seiner Regie ein Beitrag erschien, der die Leugnung des Holocaust andeutet. „ ‚Ein Namensvetter‘, erklärte er uns damals“, sagt Kropp. Molau zur taz: „Wer das geglaubt haben soll, müsste arg schlicht sein.“

In einer weiteren Veranstaltung suchten Lehrer, Eltern und Schüler nach zusätzlichen Ansätzen, um nicht wieder „getäuscht“ zu werden. „Mit Sicherheit“, mahnte Gessenharter, „kann dies nie ausgeschlossen werden.“ Er schlug vor, sich weiterhin mit der politischen Ideenwelt, auch von rechts, auseinander zu setzen, um sich zu sensibilisieren. Rudolf Steiners Ideen von „Rasse“ und „Volksseele“ dürften bei solchen Projekten nicht unhinterfragt bleiben. Ob Steiners Aussagen wie die, dass „die Weißen“ diejenigen seien, „die das Menschliche entwickelten“, vielleicht die Täuschung begünstigten, mag Kropp nicht ausschließen.

Nun will die Schule sich mit Hamburger Waldorfschulen an Gessenharters Projekt „Dialogische Selbstbeobachtung an Schulen und ihrem sozialen Umfeld“ beteiligen. „Ich hoffe, die Idee geht nicht im üblichen Schulalltag verloren“, betont Gessenharter. ANDREAS SPEIT