„Die SPD-Länderchefs werden dem Berliner Kurs entgegenarbeiten“

Flügelkämpfe stehen der SPD bevor, wenn die Parteilinke mit der Linkspartei konkurriert und die Länderchefs Wahlschlappen verhindern wollen, meint Soziologe Michael Vester

taz: Herr Vester, das Personal der neuen Regierung ist zwar noch unklar – aber SPD-seits ist mit Vertretern des Schröder’schen Kurses zu rechnen. War das der Wählerwille?

Michael Vester: Das Wahlergebnis war ein Denkzettel sowohl an die Union wie an die SPD. Volksparteien sind immer Flügelkoalitionen, und es waren die jeweils neoliberalen Flügel, an die der Denkzettel adressiert war. Darauf haben offenbar weder Union noch SPD reagiert.

Die SPD hat in der Wahl vor allem an die Linkspartei verloren. Wenn die Agenda 2010 jetzt noch ausgebaut wird – was bedeutet das für die SPD?

Sie wird die vier Prozent Zustimmung, die sie von August bis September gewonnen hat, sofort wieder verlieren. Die Popularitätswerte beider Parteien werden in den Keller gehen, aber die SPD wird stärker darunter leiden. Die Frage ist ab jetzt nur noch, was die SPD-Länderfürsten machen.

Bislang hat man von denen aber auch keine Kritik an der Agenda 2010 gehört.

Nun, immerhin hat Gerhard Schröder schon Anfang 2004 den Parteivorsitz an Franz Müntefering abgegeben, um einer Länderrebellion zuvorzukommen. Peer Steinbrück ist im Mai in Nordrhein-Westfalen untergegangen. Dies werden andere Länderchefs nicht nachahmen wollen. Sie wollen wieder an die Fleischtöpfe Ägyptens und werden dazu ein eigenes soziales Profil aufbauen und dem Berliner Kurs entgegenarbeiten.

Sie haben kürzlich der SPD-Fraktion das Wahlergebnis erklärt: Die Idee der „neuen Mitte“ sei unzutreffend, die Milieubindung existiere fort. Wird die Fraktion daraus lernen?

Ich glaube, die Fraktion hat erkannt, dass die „neue Mitte“ ein „neues Oben“ ist. Aber die Fraktion wird jetzt erst einmal so lange still halten, bis sämtliche Posten bis hin zu allen Vizes vergeben sind. Die Frage ist nur, wie der linke Flügel, der ja zumindest zahlenmäßig der stärkere ist, unter Kontrolle gehalten werden soll, wenn die Integrationsfiguren Gerhard Schröder und Wolfgang Thierse ausfallen.

Wird es also in Zukunft im Bundestag ein gespaltenes SPD-Votum geben? Bei einer großkoalitionären Übermacht von insgesamt 448 Stimmen könnte sich die Regierung das leisten.

Das ist wahrscheinlich. Jedenfalls wird der linke SPD-Flügel mit der Linkspartei um sozialstaatliche Positionen konkurrieren, was zu gewissen Zugeständnissen des Kabinetts führen wird. Die Flügel-Arrangements der SPD werden sich neu justieren müssen. Spätestens heute hat die SPD-Linke erkannt, dass sie bei der Regierungsbildung über den Tisch gezogen wird. Das wird sich rächen.

Und was passiert nun?

Wenn die Landesfürsten in die Offensive gehen und die Fraktion den Wettbewerb mit der Linkspartei aufnimmt, wird die Krise der SPD nächstes Jahr erst richtig losgehen. Die Frage ist bloß,wo der Riss entsteht. Es hängt dann alles davon ab, ob die Regierungs-SPD auch die Zustimmung der mehr sozialpartnerschaftlichen, rechten Gewerkschaften – etwa der IG BCE unter Hubertus Schmoldt – verliert. Dann wäre sie ein König ohne Land.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN