Berliner Ökonomie
: Alles für die Hauptstadt!

An den Bahnhöfen und Golfplätzen zeigt sich, wo die neue ostelbische Wirtschaftsordnung gestaltet wird

Von Rostock kommend wird es in der Mark Brandenburg bis nach Berlin immer armseliger. Am schlimmsten sieht der Bahnhof Gransee aus: zugenagelte Türen und eingeworfene Fenster, die Glasscherben liegen auf dem Bahnsteig. Aber dann fährt man in den Lehrter Bahnhof – dem nunmehrigen Hauptbahnhof des neuen Berlin ein – und versteht sofort: Hier erhebt jetzt die alte Gutsherrlichkeit wieder ihr freches Haupt! Ihr spätestens mit der Kollektivierung der Landwirtschaft untergegangenes Wirken kann man noch heute den märkischen Dörfern ansehen: zwei Reihen grauer niedriger Hütten – für die Landarbeiter –, dazwischen eine Kirche und am Ende der Gutshof.

Zu Recht hat man die ostelbische Wirtschaftsweise mit der sklavenhalterischen der amerikanischen Südstaaten verglichen. Die DDR fügte dieser Dorfarchitektur einige urbane Plattenbauten in Gutshofhöhe und niedrige Wirtschaftsgebäude für die LPGs hinzu – um das Land auch optisch anders zu gewichten. Aber auch dabei gab es einen Hang zu der nun wieder aufgelebten Parole: „Alles für die Hauptstadt!“

Neu ist dagegen die Wiederbelebung erst der heruntergekommenen märkischen Schlösser –durch Banken- und Sparkassenverbände und dann auch der Gutshöfe – durch Anwälte, Makler, Staatsbeamte und Erben. Letztere treffen sich gerne in den von den Ersteren privatisierten Schlössern, wo jetzt regelmäßig Kulturveranstaltungen für sie stattfinden. Früher fanden diese in den Kulturhäusern der LPGs statt. Auch die zwölf Golfplätze im Umland können auf die Restgutsbesitzer, wie sie heute heißen, zählen. Was hier im Kleinen auf den Dörfern passiert, geschieht noch einmal im Verhältnis zwischen Brandenburg und Berlin, wovon der Wiederaufbau der Schlosses in Mitte nur das herausragendste Merkmal ist.

Wie anders sehen dagegen die Dörfer im Königreich Schweden aus, wo die Bauern seit Jahrhunderten politisch vertreten waren. Zwar wurden sie auch dort mittels „Reformen“ zur Aufgabe ihrer gemeinschaftlichen Wirtschaftsweise gezwungen, wodurch ein wachsendes Proletariat entstand und die Kirchen bald ohne Dorf drum herum in der Landschaft standen, weil die expandieren Höfe sich neu verstreut ansiedelten, aber die überlebenden Bauerngehöfte machen heute einen reichen Eindruck, und ihre Felder drum herum wirken außerordentlich gepflegt, dazu fast landschaftsgärtnerisch angelegt.

Hierzulande scheint es so, als habe man die dörfliche Restmasse Brandenburgs sogar als Stimmvieh schon abgeschrieben. Die Deutsche Bahn AG kappt einen Verbindungsweg nach dem anderen, die Bahnhöfe werden verkauft oder vermietet. Bei den Künstlern und anderen Freischaffenden erfreuen sie sich steigender Beliebtheit. Auch die Buslinien wurden ausgedünnt und die Bürgermeister auf Ehrenämter gesetzt. Dafür gab es Unsummen zur Verschönerung der Dorfzentren samt ihren Kirchen und Feuerlöschteichen. Die neue ostelbische Wirtschaftsweise wird jedoch in Berlin „gestaltet“, wo die Konzernzentralen und ihre Botschafter residieren – in immer üppigerem Ambiente. Und so wie einst das Seeschlösschen Liebenberg des Prinzen von Eulenburg für seine hochherrschaftlich-schwulen „Ritterspiele“ bekannt war, wurde auch die Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden bereits für die Porno-Pop-Veranstaltungen ihrer bestselling artists berühmt.

Auf eine ähnliche Klientel setzt auch der Golfplatz in Bad Saarow: Wo einst Maxim Gorki kurte, investierte der Schlagerstar Jack White, seine Frau wurde Pressesprecherin. Man spricht von einem 200-Loch-Platz, weil sie angeblich gerne mit Stöckelschuhen übers Green geht. Auch auf die Popkultur als Klientel hat es der Golfplatz in Stolpe abgesehen: Er wirbt wie die Clubs mit Plakaten auf Hauswänden in Kreuzberg mit dem Wort „Bereue“.

Vornehmer gibt sich der Golf- und Countryclub am Seddinsee. Das Clubgelände wurde hier mit einem Villen-Neubauviertel verbunden, das man „Klein-Dahlem“ nennt, weil es sehr viele reiche Dahlemer dorthin „ins Grüne“ zog. „Die größten Steuerzahler Berlins sind schon hier“, meint Geschäftsführer Nicolai A. Siddig, der neben dem Fürsten von Bismarck Hauptgesellschafter ist, dazu noch die Bayerische Hypo-Bank. Genau besehen ist ihr Projekt die erste „Closed City“ Berlins, denn die Reichen zog es primär wegen der Platzsicherheit dorthin: Der DSW – ein renommierter Düsseldorfer Wachtdienst – garantiert dort eine „Rund-um-Betreuung“ und verspricht im Gefahrenfall blitzschnelle „Präsenz“.

Die Zeitschrift Capital führte eine „Exklusivumfrage unter ausgewählten deutschen Führungskräften“ durch: Zwei Drittel aller EU-Geschäfte ab 154 Millionen Mark Auftragswert laufen über Golfplätze, das heißt, werden beim Golfspiel eingelocht, wobei das golfbedingte Umsatzplus branchenspezifisch differiert: von 28 Prozent (bei Chemie, Computer, Pharma) bis zirka 3 Prozent (bei Banken, Versicherungen, Maschinenbau).

HELMUT HÖGE