Gold oder Rasen

Insolvenztheater: Die Münchner Kammerspiele inszenieren Kathrin Rögglas Stück „draußen tobt die dunkelziffer“ – und lassen das saisonale Sparverbot dabei schnurstracks in die Schuldenfalle tappen

VON SABINE LEUCHT

Es gibt Leute, die machen Schulden und werden sie nie wieder los. Die leihen sich nicht nur mal eben 100 Euro beim Kumpel, die sind so richtig überschuldet, insolvent, bankrott. Und das alles ganz privat. Dann geben sie sich die Kugel.

Man muss es so zynisch formulieren, denn das in etwa ist der Erkenntnisgewinn nach einer knappen Stunde Theater, mit der die Münchner Kammerspiele in ihrem Werkraum leise und fast ein bisschen insgeheim die Saison einläuten. Die großen Premieren kommen noch, das Spielzeitthema aber wird mit der deutschen Erstaufführung von Kathrin Rögglas „draußen tobt die dunkelziffer“ leicht verdreht unters grelle Scheinwerferlicht gehievt.

„Du sollst nicht sparen!“, heißt es nämlich heuer in Frank Baumbauers Haus, was gerne auch als Appell an die Geldgeber unter den Kulturoberen gelesen werden darf, aber vordringlich an die Adresse der Kunstschaffenden selber geht: Nicht weniger als ein Aufruf zur Verschwendung – zur Selbstverschwendung und -verausgabung – gellt durch die in der vergangenen Saison so erfolgreiche Bühne. Von Kritikern zum „Theater des Jahres“ gekürt und mit etlichen Einzelauszeichnungen bedacht: Geschont oder aufgespart für rosigere Zeiten hat sich hier ohnehin beileibe keiner. Da passt es dann irgendwie ganz gut und auch wieder nicht, wenn einem gleich zum Spielzeitauftakt ein paar Nebelgestalten präsentiert werden, die, statt sich so richtig einer Aufgabe zu ergeben, (nur) in Ratenzahlungsfallen geplumpst oder dem Kaufrausch verfallen sind.

Konsum ist alles in der neoliberalen Biografie. Anschaffen, herzeigen, siegen! So in etwa geht es auf der illusionären Stufenleiter des Scheckheftkapitalismus hinauf. Über das Hinunter spricht man lieber nicht. Die in Berlin lebende gebürtige Österreicherin Röggla hat es dennoch getan und sich für ihr Stück in Schuldnerberatungen umgehört, mit Kaufsüchtigen gesprochen und durch verbale Akkumulation alternativer Währungen Fleisch auf den knochigen Begriff „Privatinsolvenz“ geschaufelt.

Die 31-jährige Regisseurin Felicitas Bruckner hat es leider wieder abgerissen. Man muss vielleicht erwähnen, dass Bruckner, bislang Regieassistentin an den Kammerspielen, einen Text vor sich hatte, der für die Wiener Uraufführung durch Schorsch Kamerun als „ein außer Rand und Band geratener Wunderwürfel“ konzipiert wurde. Wo im Allgemeinen „Figuren“ oder zumindest „Stimmen“ sind, gibt es hier nur alle möglichen Assoziationen: „Baugewerbemenschen“, „Messies“, „Kreditkartenkinder“ … Alles dürfen, nichts müssen Rögglas Schuldenmacher sein. Die fürs Schnellsprechen geschriebenen Textbausteine bieten sich in seltener Offenheit zum Verschieben oder gar zum Verlegen an. „Immer fällt dabei etwas weg. Wie im richtigen Leben“, heißt es im Vorspann zum Stückwerk-Stück, das die Regisseurin sichtlich überfordert hat. Es ist, als stecke sie zusammen mit ihren Darstellern im Nadelwald der Konjunktur oder im heimischen Finanzdschungel fest, der auf der rundum die Bühne begrenzenden Fototapete nicht ganz so dicht aussieht, wie man es vielleicht erwartet hätte.

Dort gehört ein älteres Paar in Regenmänteln bereits zum Inventar. Mit Schildkappen und Klapphockern haben sich Walter Hess und Daphne Wagner in der neuen Armut eingerichtet. Wie die Dame, die noch Pelz, und der Kerl, der immerhin noch einen Goldring trägt, sehen sie schwer nach im Fallen begriffenem Mittelstand aus. Und dann fallen sie schon. Zwei Schüsse reichen für vier Tote. Da sieht man es: Hier wird gespart. Aber herrscht deswegen auch schon die viel zitierte „ökonomische Vernunft“?

Dafür, wie für vieles andere auch, ist es in Bruckners Inszenierung zu spät. Die Schuldenfalle hat bereits allüberall zugeschnappt, und als pädagogischer Rettungsanker wollte sich schon Rögglas kunstvoll verdichtetes Recherche-Kondensat nicht verstehen. Zwischen Bergen voller nutzloser Versandhausware, die nirgendwo zu sehen, und der Spirale von privatem Elend, Arbeitslosigkeit, Ersatzhandlungen und dem Rien-ne-vas-plus der Banker, die nirgendwo zu spüren ist, sind die Figuren nicht nur ihrer Zukunft, sondern auch unserem Mitleid entzogen. Sie sind uns, tut mir leid, vollkommen egal.

Sehr viele auf drei Paare verteilte Stimmen bringen es nicht zu einem chorisch-hysterischen Spektakel. Und das platt-konkrete Einzelschicksal wiederum, nach dessen Spur man sich irgendwann fast sehnt, halten die Schauspieler denkbar weit von sich weg. Redesalven und Wortschwalle werden nur verlangsamt, wenn ein besonders merkwürdiger Satz unbedingt in den Vordergrund muss. Wie zum Beispiel dieser: „Ich verstehe, sie wollen nicht Zeitzeuge ihres eigenen Kollapses sein, doch dafür ist es zu spät.“ Na klar. Dann sprechen die Schauspieler peinlich betont auf Wirkung, den Rest der Zeit sparen sie sich auf.

Gegen Ende tobt ein Hauch vom „Blair Witch Project“ via Monitor durch den Wald, und Dagobert Duck und Joschka Fischer zeigen auf T-Shirts ihr Gesicht. Allein, es nutzt nicht mehr viel. Nur das Bühnenbild (Nadia Fistarol) beschert uns letztlich ein kleines ästhetisch-symbolisches Highlight, als ein Teil des rasenfarbenen Teppichbodens mittels Reißverschluss aufgezippt wird und darunter glitzerndes Gold zum Vorschein kommt. Da liegt es ja. Warum also sparen?