Sag auch hallo zu Mama

Gernot Bronsert und Sebastian Szary sind seit zehn Jahren das DJ-Team Modeselektor. Mit aller Gemütsruhe mixen und produzieren sie sich, unterstützt von Techno-Patronin Ellen Allien, aus dem Berliner Underground. Jetzt gibt es ihr Debütalbum

VON JAN KEDVES

Dass man sie bisweilen zu ihrem Glück zwingen muss – es macht sie umso sympathischer. Als Vertreter eines Typs von Berlin-Mitte-Slackern, die in Berlin-Mitte zunehmend seltener anzutreffen sind, kennen Modeselektor weder übermäßige Hast noch einen allzu gesteigerten Ehrgeiz.

Vor vier Jahren zum Beispiel, als ihre selbst herausgebrachten Techno-Platten noch kaum Aufmerksamkeit erregten, jedenfalls nicht außerhalb von Mitte-Slacker-Kreisen: Da musste Ellen Allien, die Schutzheilige des Berliner Techno-Undergrounds, die beiden mehrmals anhauen, bis sie dann doch mal eine Single auf ihrem Label BPitch Control veröffentlichten. Ebenfalls 2002 war es, als auf einer Party in der Schweiz ein Live-Act ausfiel und Allien Modeselektor quasi auf die Bühne zwang: „Los jetzt, ihr macht das jetzt!“ Vorm Live-Spielen hatten sie sich bis dahin eigentlich erfolgreich gedrückt. Außerdem, maulten sie, seien doch ihre Laptops kaputt. Es wurde eine tolle Party.

Gernot Bronsert und Sebastian Szary stehen zusammen für einen vielseitigen Techno-Begriff, der über die üblichen Städte-Glaubensbekenntnisse – Sheffield, Detroit oder Chicago – weit hinausgeht. Bei ihnen kommen sämtliche Musikstile, die nicht schnell genug auf den Bäumen sind, in den Mix. Dancehall, HipHop, Eurotrance. Und damit taten sie in den Clubs dann verlässlich das, was auch in der Techno-Sprache kein besseres Wort kennt als „rocken“.

In der Oranienburger Straße, in einem der letzten noch unsanierten Häuser dort, haben sie ihr Studio. Auf einem Flur mit der BPitch-Zentrale. Vor Ellen Allien, ihrer Drillmeisterin, gibt es also kein Entkommen: „Stellt euren Müll rein, es stinkt!“, poltert ein von ihr an die Tür gepinnter Zettel. Über ihre Laptops gebeugt und umgeben von Vinyl-Kisten und Vintage-Synthesizern werkeln Szary und Bronsert hier an ihren Tracks, tage- und nächtelang. Angefangen habe das alles Anfang der Neunziger, erinnern sie sich, auf illegalen Raves in Ostberliner Industrieruinen. Kunstnebel, Strobo-Gewitter, Tarnklamotten: Wie man sich das so vorstellt.

Im Berliner Techno-Underground hatten sie sich längst als angesehenes DJ-Team eingerichtet, als eines Abends vor zwei Jahren ihr Leben auf den Kopf gestellt wurde. Da erklärte Radiohead-Sänger Thom Yorke nämlich vor laufender Kamera auf Charlotte Roches Frage, welche Musik er gerade toll finde: „Modeselektor from Berlin. His stuff is the shit!“ In der Kreuzberger Döner Lounge, in der Bronsert und Szary gerade auflegten, schrillten sofort sämtliche Mobiltelefone: „Scheiße, habt ihr das gehört?!“

Nach einem solchen Bekanntheitsschub hätten andere selbst noch ihre halbgarsten Tracks zu einem „lang erwarteten Debütalbum“ zusammengekehrt und versucht, eine Kooperation mit dem prominenten Fürsprecher klarzumachen.

Modeselektor – wie gesagt: ziemliche Slacker – taten nichts von alledem. Lieber produzierten sie mit ihren Kumpels von der Berliner VJ-Bande Pfadfinderei erstmal eine DVD für ein französisches Visual-Music-Label, spielten immer mehr Live-Gigs, auch im Ausland, und übten an ein paar Remixen. Danach erst schlossen sie sich zwei Wochen im Haus von Bronserts Schwester ein: Im BPitch-Haus sei es einfach unmöglich gewesen, die nötige Ruhe zum Arbeiten zu finden.

Wie zum Beweis steckt just in diesem Moment Ellen Allien den Kopf durch die Tür – „Hallo, hallo!“ – und lässt wissen, dass es im Office grade die nächste BPitch-Platte zu hören gebe. Bitte mal rüberkommen. „Ja gleich, ja gleich“, nicken Modeselektor – und versichern dann: Im Grunde sei es einzig dieser Ellen zu verdanken, dass mit „Hello Mom!“ nun tatsächlich ein Debütalbum von ihnen in den Läden stehe. Denn natürlich brauchte es auch nach der Zweiwochenklausur erst noch ein Ultimatum der Chefin: „Entweder ihr schafft es noch dieses Jahr, oder jemand anderes macht das nächste Album!“

„Hello Mom!“ ist eine rasend abwechslungsreiche Angelegenheit geworden, auf der die aktuell von Egoexpress und dem Kölner Label Areal propagierte Techno-Spielart „Knarz“ auf Kurs gebracht wird mit einer so nur von Modeselektor kultivierten Melange aus hochgepitchten HipHop-Beats und Electro. Noch einigermaßen benebelt von Grime, witterte die englische Musikpresse in diesem Mix unlängst das neueste Musikgenre: „Eurocrunk“.

Mit solchen Definitionsfragen halten Modeselektor sich erst gar nicht auf. Lieber lassen sie noch Paul St. Hilaire von Rhythm & Sound seine wunderbar einlullende Samtstimme über den Dub-Track „Fake Emotion“ legen und featuren bei „Dancing Box“, einem Funkstörung-mäßig zerschredderten Breakbeat-Monster, TTC, eine in Frankreich hoch angesehene HipHop-Crew. Wie nicht anders zu erwarten, werden sie für das Album von allen Seiten mit Lob überhäuft.

Ob Thom Yorke das Album schon gehört hat, wissen sie nicht. Bronsert schmunzelt: Die Episode mit dem Radiohead-Sänger – die übrigens noch damit weiterging, dass Yorke eines Tages unangemeldet vor der verschlossenen Tür des Modeselektor-Studios stand – hätten sie nicht zu sehr strapazieren wollen. Deswegen hat Yorke keine Kopie des Albums geschickt bekommen, und deswegen haben sie die Sache im Infotext zu „Hello Mom!“ auch bewusst humorig verarbeitet. „Radiohead schätzen Modeselektor“, steht da, gefolgt von: „So auf Mitte zwanzig.“ Da gackern die beiden.

„Hello Mom!“ von Modeselektor ist auf BPitch Control/Rough Trade erschienen