Das Land ist eine Zwiebel

Die führenden Feuilletonisten Deutschlands trafen sich am Mittwoch zur Medienschelte in der Berliner Volksbühne

Die Medienschelte des scheidenden Bundeskanzlers hat es an den Tag gebracht: Man sollte in Deutschland lieber weniger über politische Inhalte reden als vielmehr darüber, in welcher Form über sie berichtet wird. So etwas lassen sich die führenden Feuilletonisten der Republik natürlich nicht zweimal sagen. In der neuen Ausgabe der von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung begründeten Schriftenreihe Valerio melden sie sich nun zum Thema „Demokratisch reden“ zu Wort.

Im Rahmen einer kombinierten Lesung und Podiumsdiskussion wurde der Band am Mittwochabend in der Berliner Volksbühne vorgestellt. Die Grundthese gab hier der Berliner Journalist und diesmalige Valerio-Herausgeber Gustav Seibt vor: „Eine Republik ist ein ganzes System aufeinander verweisender Medien.“ Was das bedeutet, hatte sich bereits nach dem überraschenden Wahlausgang in selbstkritischen Zeitungskommentaren herauskristallisiert: Unter den Bedingungen des Marktes verstehen sich Medien immer weniger als autonome „Vierte Gewalt“ im Staate, sondern als interdependent im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit mit Sphäre des Politischen verwoben.

Laut Seibt müsse Medienkritik dennoch vor allem Selbstkritik sein. Er beklagt jenen politischen Dilettantismus, der als Journalismus daherkomme, dabei aber vorwiegend auf die Emotionen des Publikums setze: „Es geht um jene Talkshows die […] durch die Präsenz ihrer meist weiblichen Moderatoren, durch Zuspitzung, leichtgängige Unterhaltsamkeit, Schnelligkeit und Aktualität […] einen Einfluss auf die Meinungsbildung gewonnen haben, der den der gedruckten Presse jedenfalls kurzfristig hinter sich lässt.“ Konsequenterweise ist das Podium an diesem Abend auch nur mit Männern des gedruckten Wortes besetzt.

Hier kann der Schriftsteller Burkhard Spinnen seine Hassausbrüche ergründen, wenn er nach dem „Tatort“ versehentlich „Christiansen“ laufen lässt. „Christiansen ist der Austragungsort einer sich verschärfenden Unmöglichkeit, im Zeitalter globalisierter und von der Ökonomie hemmungslos beherrschter Tagespolitik in den traditionellen politischen Gattungen zu kommunizieren.“ Welt-Feuilletonchef Eckhard Fuhr rät daher zu mehr Populismus in der Politik und lobt Münteferings Rückgriff auf die alttestamentarische Heuschreckenmetapher: „Politik hat die Macht der Gefühle nötig, das ist eine zivilisatorische Errungenschaft, nicht ein Standortnachteil.“ Jens Jessen von der Zeit warnte vor einer „Entgrenzung des demokratischen Prinzips in Analogie zur Marktwirtschaft“.

Beruhigend, dass der Namensgeber von Valerio, der Schriftsteller und Journalist Georg Büchner, seinem gleichnamigen Dramenhelden die Idee des gesellschaftlich-medialen Interdependenzgedankens schon in den 1830ern in den Mund gelegt hatte: „Das ist ein Land wie eine Zwiebel, nichts als Schalen, oder wie ineinander gesteckte Schachteln, in der größten sind nichts als Schachteln und in der kleinsten ist gar nichts.“ JAN-HENDRIK WULF