Die Achse der Tanzmusik von Tobias Rapp

Darkroom-Pop

Verführung ist ein langsames Geschäft: Kaum eine Platte der vergangenen Monate weiß das so genau wie „Are You Really Lost“ von Mathias Aguayo. Reduziert und intensiv entwickelt es aus der schleppenden Langsamkeit seiner Stücke eine überzeugende Dreitagebart-Schmierlappigkeit, eine sexy Verschleppung, die ziemlich einzig dasteht. Kaum ein Stück kommt je auf die reguläre House-Geschwindigkeit, im Popsongtempo wird sich über die Strecke geschwitzt.

Mathias Aguayo war die eine Hälfte des Kölner Ambientpop-Duos Closer Musik – und selten hat sich eine Gruppe so vollendet auseinander dividiert wie Aguayo und sein Partner Dirk Leyer. Leyer hat die zarten Pastelfarben mitgenommen und Anfang dieses Jahres auf Kompakt seine „Wellen“-EP hingetupft. Aguayo nimmt den Rhythmus und die Schwere mit und legt nun mit „Are You Really Lost“ ein Darkroom-Pop-Epos vor. Die Single-Auskoppelung „De Papel“ verlegt die enigmatisch-verspulten Lyrics durch dschungelartiges Fiepen in irgendeinen dunklen Keller.

Und wenn Aguayo im Titeltrack die Synthielinie des B-52’s-Klassikers „Planet Claire“ durch ein zerhacktes seufzendes Stöhnen rhythmisch unterlegt, das auch ein sanfter Schlag sein könnte, dann hat das nichts mehr von der überdrehten Euphorie des Originals. Dies ist eine Ekstase, die ihre Intensität durch ihre Zeitlupenhaftigkeit gewinnt. Ganz groß. Hier geht’s ins Dunkle, Freund.

Mathias Aguayo: „Are You Really Lost“ (Kompakt/ Rough Trade)

Wenn House, dann hier

So populär das Format der Label-Compilation in der elektronischen Musik ist und so viel Sinn es auf den ersten Blick macht, organisiert sich doch Bedeutung in dieser Musik vor allem über das Label: Im Grunde ist es langweilig. Das Entscheidende sind schließlich die einzelnen Tracks und die Aufgabe diese in einen Zusammenhang zu stellen, erledigen DJs auf ihren Mix-CDs meist wesentlich besser. Vielleicht liegt es daran, dass die Betreiber selbst altgediente DJs sind: Aber das Frankfurter Playhouse-Label macht mit der „Famous When Dead“-Reihe eine der großen Ausnahmen: Die Musik der hier veröffentlichten Künstler ist so vielfältig, dass „Famous When Dead IV“ wirklich interessante Zusammenhänge herstellt.

Da gibt es den metallischen Hüpf-House von „Klatta“ der Berliner Gruppe My My, der neben „Schrapnell“ steht, Isolees großartigem Rockabilly-House. Losouls „You know“, der wahrscheinlich erste und einzige Deephouse-Track, der gerade wegen seiner deutschen Lyrics so ergreifenden Sinn macht, findet sich neben einem berückenden Neodiskoentwurf wie Lindströms „I Feel Space“.

Das ist alles ganz wunderbar. Und wenn es eines Beispiels bedürfte, zu beweisen, wie weit sich die elektronische Musik vom nationalen Rahmen weg zu einer netzwerkartigen Knotenorganisation entwickelt hat: mit Künstlern, denen man so gar nicht anhört, ob sie aus Wellington, Oslo, Berlin oder London kommen, hätte man es hier.

„Famous When Dead IV“ (Playhouse/ Rough Trade)

Knarz ist nicht Bratz

Sie haben ein wunderbares Artwork, die Schallplatten aus dem Hause Areal in Köln. Mit Buntstiften hingezeichnete Bilder zieren die Covers und die Innenlabels, und in ihrer Kinderzeichnungshaftigkeit spiegeln sie grafisch die Kunst der Arealmacher, musikalisch einen ganz eigenen künstlerischen Raum aufgemacht zu haben und immer noch zu halten: Knarz.

Ein Vogel ziert das Cover von „Kobol“, dem Debütalbum von Metope oder Michael Schwanen, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, einem der Begründer von Areal. Und „Rebird“, das erste Stück der Platte, beginnt prompt mit fiesem elektrischen Gezirpe. Doch Knarz ist nicht automatische Bratz. Und obwohl sich auch Metope innerhalb des Rahmens der Knarz-Ästhetik bewegt und sich die meisten seiner Sounds anhören, als hätte er sie vor der eigentlichen Benutzung ein paar Mal durch ein rostiges Eisengitter gepresst, um diese knarztypische Anmutung zersplitterter Funken in einem Haufen Schmutz zu erzeugen, sind die Stücke doch mitunter überraschend zart.

Das bolzt und kracht immer noch mächtig, aber ihre Stärke und Besonderheit liegt in der Art, wie es Metope gelingt, immer wieder neue Ebenen von Geräusch einzufügen und überraschende Melodien quer zu legen. Wenig erinnert hier an den Popentwurf seiner Labelkollegin Ada. Sperrig und technoid brummelt sich Metope über eine abgerockte Tanzfläche, auf der es nach feuchtem Putz riecht.

Metope: „Kobol“ (Areal Records/ Rough Trade)