Vogelgrippe in der Türkei

Die Behörden sind alarmiert. Für die Türkei liegt jetzt der Nachweis vor, dass für das Vogelsterben die gefährliche Variante der Vogelgrippe, H5N1, verantwortlich ist. Befürchtet wird jetzt, dass das Virus auch für den Menschen hochinfektiös wird

VON WOLFGANG LÖHR

Die hochinfektiöse Vogelgrippe hat Europa noch nicht erreicht. Für Rumänien ist jetzt zwar bestätigt worden, dass dort die Vogelgrippe ausgebrochen ist. Es handelt sich um einen H5-Typ. Doch noch ist offen, ob es sich tatsächlich um die hochpathogene Variante der Vogelgrippe H5N1 handelt, teilte die EU-Kommission gestern mit. Im Unterschied dazu konnte der Erreger, der in der Türkei das Vogelsterben auslöste, als ein H5N1 identifiziert werden. Gestern früh noch hatte die Kommission das seit Montag für die Türkei geltende Importverbot für Geflügel und Geflügelprodukte auf Rumänien ausgeweitet.

Bis gestern früh waren die europäischen Veterinärexperten noch davon ausgegangen, dass das Anfang Oktober einsetzende Tiersterben nicht auf den Erreger der Vogelgrippe zurückzuführen sei. Alle Tests seien bisher negativ ausgefallen, gab die EU-Kommission noch am Mittwoch nach einem eiligst einberufenen Expertentreffen in Brüssel bekannt. Ein Importverbot wurde daher nur für die Türkei erlassen. Für die von der Hühnergrippe befallenen südostasiatischen Ländern gilt das Einfuhrverbot schon seit längerem.

In der Türkei geht das Vogelsterben noch weiter. Nachdem am letzten Wochenende zahlreiche verendete Tiere aus dem Westen der Türkei gemeldet wurden, berichteten gestern türkische Zeitungen, dass auch in Adana, im Südosten der Türkei, 200 tote Vögel gefunden wurden. Der Verkauf von lebenden Hühnern wurde dort sofort verboten. Am frühen Nachmittag kam dann die Bestätigung: Es ist H5N1.

Das Influenza-Virus vom Typ H5N1 trat erstmals 1997 in Südostasien auf. Über 200 Millionen Tiere gehen mittlerweile auf sein Konto. Die Tiere starben entweder an der Infektion, oder sie wurden getötet, um die weitere Ausbreitung einzudämmen. Waren es anfänglich nur Hühner, Gänse oder Enten, die an einer Virusinfektion starben, werden seit 2001 auch vermehrt Infektionen bei Menschen registriert. Über 60 Menschen sind schon an dem Virus gestorben. Wie viele Menschen infiziert sind, darüber liegen keine genauen Zahlen. Die Seuchenexperten gehen davon aus, dass viele Fälle nicht richtig diagnostiziert werden.

Noch wird die durch H5N1 verursachte Infektion als Geflügelkrankheit bezeichnet. Zwar könnten auch Säugetiere wie zum Beispiel Tiger, Schwein oder Zibetkatzen infiziert werden, diese spielen aber laut Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit „epidemiologisch bislang keine Rolle“.

Menschen infizierten sich bisher nur, wenn sie im engen Kontakt mit den Tieren lebten. Zwar sind in einigen wenigen Familien auch bei mehreren Angehörigen H5N1-Infektionen aufgetreten, wie zum Beispiel bei einer indonesischen Familie, wo zuerst ein achtjähriges Kind erkrankte und kurz darauf die Schwester und der Vater. Die Experten gehen jedoch immer noch davon aus, dass sich alle bei Tieren angesteckt haben. Ein gesicherter Nachweis, dass H5N1 auch von Mensch zu Mensch weitergegeben werden kann, liegt jedenfalls noch nicht vor. „Obwohl es manchmal sehr schwierig ist, dies auszuschließen“, berichtet Steven Borge vom Büro der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Jakarta in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature.

Die größte Sorge der Gesundheitspolitiker ist derzeit, dass H5N1 die Fähigkeit erlangt wie ein „normales“ Grippevirus durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch zu „springen“. Schon bei einer der alljährlich auftretenden Grippewellen wird weltweit mit bis zu einer Million Toten gerechnet. In Deutschland sind es bei einer „normal“ verlaufenden Grippewelle immerhin noch bis zu 10.000 Menschen – und das, obwohl Impfstoffe zur Verfügung stehen und eine flächendeckende Gesundheitsversorgung vorhanden ist. Sollte H5N1, der noch weitaus tödlicher ist, sich unter Menschen genauso schnell verbreiten können, müssten weltweit zirka 150 Millionen Tote befürchtet werden, warnt die WHO.

Üblicherweise werden die Influenza-Viren nach zwei charakteristischen Proteinen klassifiziert, die in der Virushülle verankert sind. Das H steht für Hämagglutinin und das N für Neuramidase. Aufgrund der unterschiedlichen Antikörper, die bei der Immunabwehr vom Körper eines Infizierten als Reaktion auf diese beiden Oberflächenproteine gebildet werden, unterscheidet man 15 H-Subtypen und 9 N-Subtypen. Alle diese Subtypen können in unterschiedlichen Kombinationen auftauchen. Auch sind alle diese Typen bisher schon bei Vögeln nachgewiesen worden. Einige Virusvarianten infizieren zwar Vögel, lösen aber keine schwerwiegenden Erkrankungen aus. Andere wiederum sind fast immer tödlich für ihren gefiederten Wirt. Die hochpathogenen Vogelgrippe-Viren gehören bisher ausschließlich den Subtypen H5 und H7 an. Wobei zu beachten ist, dass nicht alle H5 und H7 gefährlich sein müssen. Diese Ungewissheit ist auch der Grund dafür, dass die EU-Kommission bei den Verdachtsfällen in Rumänien und der Türkei vor schärferen Sicherheitsmaßnahmen erst einmal abwarteten, ob es sich um die als gefährlich eingestufte Variante H5N1 handelt.

Befürchtet wird jetzt vor allem, dass das Virus sich mit einem normalen Grippevirus vermischt. Das ist in der Vergangenheit bei anderen Varianten wiederholt schon passiert. Die dabei neu entstandene Virusvariante kann dann durchaus gänzlich neue Eigenschaften erhalten. Sie kann weniger infektiös sein. Sie kann sich aber auch als gefährlicher Killervirus erweisen.