Unter Palmen und Despoten

In Urlaubsländern wie Tunesien wird mit Folter und Repression jegliche Opposition unterdrückt. Europa hält sich Despoten vor der Haustür, die nicht nur die Schwarzafrikaner am Weiterreisen hindern sollen. Ein Gespräch mit der tunesischen Menschenrechtlerin Sihem Bensedrine

INTERVIEW EDITH KRESTA

taz: Sie schreiben in Ihrem Buch „Despoten vor Europas Haustür“, dass Europa im Maghreb Regime unterstützt, die einen Terrorismus nach innen produzieren. Was meinen Sie damit?

Sihem Bensedrine: Ein Regime wie das von Tunesiens Präsident Ben Ali zum Beispiel verschließt alle Möglichkeiten des freien Ausdrucks. Es gibt keine freie Presse. Die Freiheit, eine Vereinigung zu gründen, gibt es nicht. Es gibt keinen Weg, um sich Gehör zu verschaffen, außer den der Gewalt. So produzieren diese Regierungen Terroristen, die die Anhängerschaft des radikalen Islamismus vergrößern. Doch diese Leute sitzen nicht in unseren Ländern, sondern in Europa.

Aber was hat Europa außer als Unterschlupf damit zu tun?

Europa unterstützt ständig die Despoten südlich des Mittelmeers, von Marokko über Algerien, Tunesien, Ägypten, Jordanien und den Libanon bis Syrien und neuerdings sogar Libyen, statt die Demokratiebewegungen bei uns zu unterstützen. Europa hält diese Despoten für Garanten der Stabilität, für ein Bollwerk gegen den Terrorismus. Das ist ein Irrtum. Denn diese Regierungen fördern den Terrorismus, den sie angeblich bekämpfen.

In UN-Berichten gewinnen die Araber die Goldene Palme als Unterdrückerstaaten. Ist es die Religion, die patriarchale Clangesellschaft?

Die Araber wollen wie alle Bürger die Freiheit. Sie wollen die Demokratie, sie wollen in ihren Ländern in Würde leben. Wir lieben die Despoten nicht. Aber es stimmt: Wir haben praktisch kein einziges demokratisches Regime.

Hinter der Fassade des Nationalstaats stehen die Regierungen nicht für die Wohlfahrt ihrer Bürger, sondern für die Interessen von Lobbygruppen aus dem Ausland. Und so sind sie gezwungen, ihre Bürger unter der Knute zu halten. Wenn sie die Zahl der Intellektuellen sehen, die im Gefängnis stecken, dann wissen sie: Wenn wir die Diktatoren lieben würden, wären die arabischen Gefängnisse nicht so voll.

In Ihrem Buch beschreiben Sie die gnadenlose Bereicherung des Ben-Ali-Clans. Ist das nicht traditionelles Clanverhalten?

Diese Bereicherung eines Clans fing erst mit Ben Ali an. Der frühere Präsident, Bourguiba, war ein autoritärer Führer, aber man hatte nicht dieses Schema des mafiösen Clans, der die Ökonomie des Landes besetzt, aussaugt und sich an den öffentlichen Ressourcen bereichert. Ein Clan, der das Land kontrolliert. Ben Ali ist skrupellos und legt niemandem Rechenschaft ab. Das ist Diebstahl an der Öffentlichkeit.

Welche Konsequenz hat diese mafiöse Struktur nach innen in der tunesischen Gesellschaft?

Das entmutigt, demoralisiert. Beispielsweise werden Unternehmen, die einen korrekten Weg gehen, marginalisiert. Hinter der Fassade des Rechtsstaats gelten keine Gesetze. Wenn sie zum Beispiel ein Unternehmen gründen und dann nicht einen bestimmten Beitrag an ein Mitglied der Familie Ben Ali zum Schutz zahlen, sind sie ökonomisch tot. Wir haben viele Unternehmer, die jetzt im Gefängnis sind. Man wendet die Antiterrorismusgesetze an oder wirft ihnen Geldwäsche vor. Beides sind neue gesetzliche Errungenschaften Ben Alis. Man zieht ihr Geld und Vermögen ein, nur weil sie nein sagten. Es gibt viele Leute, die komplett enteignet wurden. Auf eine völlig illegale Art.

Mit den Antiterrorismusgesetzen konsolidiert man die totalitären Staaten in der arabischen Welt, schreiben Sie. Unterschätzen Sie nicht die Gefahr des Terrorismus?

Nein, im Gegenteil, ich bin besorgt über die Banalisierung des Terrorismus. Wenn ich zum Beispiel sehe, wie Ben Ali seine Gerichtsbarkeit nutzt, um terroristische Urteile zu sprechen. Wenn wir diese Prozesse observieren, dann sehen wir, dass junge Leute völlig unschuldig verurteilt werden. Es geht vor allem darum, den europäischen Partnern den Kampf gegen den Terrorismus zu verkaufen. So wird die Gefahr des wirklichen Terrorismus banalisiert. Aber das Regime bekämpft den Terrorismus nicht wirklich, die Terroristen haben sich längst neue Plätze gesucht.

Welche Rolle spielt der politische Islam?

Den Terrorismus zu bekämpfen heißt für mich nicht, den Islam zu bekämpfen. Aber in unserem Land bekämpft man leider den Islam anstatt den Islamismus. Wenn man den gemäßigten Islam unterdrückt, sehen die Radikalen ihre Stunde, um aufzuhetzen. Dass die Leute ein religiöses Banner nutzen, um sich politisch zu artikulieren, das gibt es überall. Den Islam in die Politik zu integrieren ist unumgänglich, wenn man den Terrorismus bekämpfen will.

Sie sprechen vom tunesischen Modell der sanften Unterdrückung, das sich immer mehr Länder aneignen.

Ja, auch Algerien, Marokko und Libyen orientieren sich an diesem marketinggerechten, heuchlerischen tunesischen Modell der Unterdrückung. Denn die politische Unterdrückung ist ja nicht sichtbar, sie hat ihre bezahlten Häscher und bedroht die Einzelnen. Nach außen verhüllt man den Machtmissbrauch mit einem demokratischen Schleier.

Werden Sie bedroht?

Ja, aber ich genieße den Schutz Europas durch meinen Aufenthalt hier und meine Publikationen. Ich fahre immer nach Tunesien. Es ist mein Land. Ich werde es nicht Ben Ali überlassen.