Arganöl macht frei

Frauenkooperativen in Südmarokko. Auch eine Alternative zum touristischen Ausverkauf

von LUTZ REDECKER

Inschalla. Ein Lächeln liegt in den Augen von Halima und ihrer Mutter. Inschalla – so Gott will – besiegelt Verträge, Abmachungen und Verabredungen, auch in den abgelegensten Flecken der arabischen Welt. Selbst solche, die dort eher ungewöhnlich erscheinen. Die Frauen, die sich hier in Le Rhazouar, umgeben von großen Arganiehainen an der Südküste Marokkos an einem späten Frühlingstag vor einem weiß getünchten Haus mit einem Buchhalter treffen, haben die bürokratischen Hürden für ihre „association femmes d’Rhazouar“ genommen und starten mit einem Kleinkredit ihre siebenköpfige Frauenkooperative.

Halima, Mitte vierzig, leitet die Kooperative und weiß, wovon sie spricht. Ihre Familie kultiviert seit Generationen die dornigen, immergrünen Bäume, die sich wie ein Vorhang vor die wandernden Wüsten stellen. „Die Arganien stehen von jeher im Mittelpunkt unserer Arbeit, auch wenn in den letzten Jahren sich viele Frauen von dieser aufwändigen Arbeit lossagen. Wenn wir Frauen uns zusammenschließen und gemeinsam Öl pressen, haben wir Aussicht auf ein sicheres Einkommen.“

Viele Frauen würden die traditionellen Rollen nicht mehr akzeptieren, vor allem wenn sie allein stehend seien und Kinder haben. Die einzige Möglichkeit sei dann, so Halima, ein von den Männern unabhängiges Einkommen zu erwirtschaften, und schnell kommt sie auf ihr eigentliches Anliegen: „Wer für wenig oder gar keine Bezahlung auf dem Land arbeitet, muss sich den Männern unterlegen fühlen. Wir wollen deshalb unser Öl gemeinsam verkaufen und einen guten Vertrieb aufbauen.“

Und so findet sich heute in Südmarokko zwischen Safi und Sidi Ifni eine steigende Anzahl von Frauenkooperativen, die in Gruppenarbeit die Früchte sammeln, die Steine knacken und die gewonnenen Früchte anrösten und anschließend in handbetriebenen Steinmühlen das kostbare Öl gewinnen. Neben der wirtschaftlichen Bedeutung ist die Kultivierung der Arganie Bestandteil der Berberkultur, die den Frauen traditionell eigenständige Rollen zuschrieb und von der islamischen Frauenrolle verdrängt wurde.

Am Abend liegt ein weiches Licht auf den Ausläufern des Atlasgebirges. Die Luft ist angenehm, der Blick schweift über Trockensteinmauern und aus dornigen Ästen gebauten Zäunen zu kleinen Häusersiedlungen am Horizont. Arganienhaine, so weit das Auge reicht. Der felsige, kalkhaltige Boden ist von Streifen bunter Feldblumen durchzogen, wilder Rucola und Thymian verbreiten einen würzigen Duft. Hier und dort grast eine Herde Ziegen. Getreide wird nur auf kleinsten Feldern für den Eigenbedarf angebaut. Hundegebell in der Ferne. Mit Einbruch der Nacht zieht Stille ein.

Ganz anders im nächsten Ort Diabat. Hier bricht der Fortschritt ein. Eine von König Mohammed VI. persönlich unterstützte Allianz aus belgischen Lizenznehmern wird ein noch vollkommen erhaltenes Dünengebiet mit Eukalyptus- und Mimosenwäldern zu einem Megaferienkomplex mit Golf- und Freizeiteinrichtungen umwandeln. „Für wen hier Arbeitsplätze und Einkommen geschaffen werden, ist nicht klar. Aber es wird behauptet, dass unser Ort davon profitieren soll“, erklärt Aziz vor seinem kleinen Kiosk in Diabat, wo sich Touristen und Esel die Hufe geben. Letztere betreiben eine Art lokale Müllsortierung, Erstere staunen einvernehmlich über das Meer von Plastiktüten, den der kräftige Atlantikwind an bestimmten Tagen durch den weißen Strandginster bläst. Der blauweiße Sonnenschutz über dem mobilen Kiosk knattert im Wind wie eine tibetische Gebetsfahne.

Die Brise in der Bucht von Essaouira ist immer frisch, selbst wenn im 180 Kilometer entfernten Marrakesch das Thermometer auf über 40 Grad steigt. „Der Wind wird auch frisch sein für die anvisierten Golfspieler, denen Investoren ein ‚unvergessliches Erlebnis‘ prophezeien“, führt Dona an, die mit Nachbarn dem Großprojekt auf den Grund gehen will. Das Problem sei eine Regierung, die ausländischen Investoren alle Tore öffne, ohne zu prüfen, wer genau davon profitiere! Und so stehen in den Hotels im Hafenort Essaouira die kleinsten Zubringerjobs und schlecht bezahlten Küchenarbeiten hoch im Kurs. Für jede Frau, die abspringt, warten zwanzig andere.

Wer kann, ergattert hier einen Job in der florierenden Touristik. Restaurants und Hotels schießen wie Unkraut aus dem Boden, nachdem in den 70er-Jahren Cat Stevens, Jimi Hendrix und das Living Theatre das Timbre dieses Orts erspürten und eine lebhafte Musikszene, die Gnaouer, entdeckten.

Einer der vielen Brüder von Aziz arbeitet für das regionale Wasseramt, das der Region einst einen passablen Wasserüberschuss attestierte. „Unser Unglück im Glück“, meint Aziz, „denn von diesem Reichtum wird uns Bewohnern nicht viel bleiben. Hätten wir weniger Wasser, wäre kein Investor hierher gekommen“. Ob es denn nicht wenigstens für die lokale Produktion von Obst und Gemüse einen besseren Absatz gebe, frage ich. Aziz winkt ab. Das Gemüse für große Hotels komme aus der industriellen Produktion im Norden. Wenn das Projekt anlaufe, würden viele Einwohner von Diabat ihre Häuser verkaufen und von dem Geld so lange leben, wie es ginge, und somit längerfristige Planungen vernachlässigen.

Bark, Halimas Mann, fünf Jahre jünger als sie, ist Fischer. Sein Einkommen hat sich durch Überfischung im Meer in den letzten zehn Jahren halbiert, während sich die Preise für Lebensmittel in Essaouira mehr als verdoppelt haben. „Wenn der Verkauf von Arganöl in andere Länder ein regelmäßiges Einkommen bringen würde“, bemerkt er, während er sein rostiges Moped putzt, „könnten ganze Familien wie früher mithelfen, das Öl herzustellen, und es könnten junge Bäume gepflanzt werden.“

Bark ist eine Ausnahme. Er findet immer Zeit, die großen Säcke mit den Erträgen zum Speicher zu transportieren, ist nach dem Fischen meistens zu Hause, verabscheut die Männerrunden, trinkt und kifft nicht. In der Tat ist der Arganienbaum eine geradezu unerschöpflich vorhandene Baumart auf den südlichen Hängen des Atlasgebirges, einem Areal von 800.000 Hektar Land, dessen Erträge nur zu einem Teil genutzt werden. Der Arganienbaum ist ein Tertiärrelikt und kann lange Trockenperioden überstehen, jedoch keinen Frost. Der Baum ist immergrün, wird fünf bis acht Meter hoch und hat eine rissige Rinde, seine Zweige sind dornig. Die Früchte reifen im September und enthalten Steine mit Samen, die eine fleischige Schale umgibt.

Vormittags, wenn die Samen aus den Kernen geschlagen werden, entsteht in der Frauenkooperative ein fast musikalisches Geräusch unter dem Dach der kleinen Scheune. Um das Öl zu gewinnen, wird der nussig duftende Brei, der langsam aus der Mühle läuft, mit Wasser versetzt und so lange geknetet, bis das Öl sich absetzt. Das frische und natürlich kaltgepresste Öl hat die Farbe von frischem Pfefferminztee.

Auf die Frage nach der zu erwartenden Menge Öl gibt Halima dem Buchhalter beim Verlassen des Hauses eine für ihn offensichtlich nicht ganz klare Antwort, wie sein Gesichtsausdruck verrät: „Je mehr Öl wir zu einem guten Preis verkaufen können, desto mehr Frauen werden sich an unserer Arbeit beteiligen und umso mehr Öl werden wir produzieren.“