PETER UNFRIED über CHARTS
: Zeigt Christiansen in Superzeitlupe!

Das Wahlkampftagebuch (X und Ende): Warum wir eine Fernsehsendung brauchen, die das Fernsehen kontrolliert

Die letzte Folge der ZDF-Politgesprächssendung „Berlin Mitte“ hatte eine bemerkenswerte Fragestellung: „Erst die Posten, dann das Land?“ Wie, bitte? Falls das nicht als Aufforderung an die Politiker gemeint war, kann man es nur als hochgradigen Zynismus verstehen. Kommt es doch von einem Medium, das sich monatelang wie kein zweites der Personalisierung der Politik verschrieben hatte.

Okay, es ist leicht, über die Politikberichterstattung im Fernsehen herzuziehen. Leicht, weil es ein Oberflächenmedium ist und seine Defizite so offen zutage treten. Aber es ist auch schwierig, weil die Kritik aus genau diesem Grund schnell wohlfeil und unsexy wirken kann. Peter Hahne? Klar, aber da redet man nicht drüber. Sollte aber der dringend nötige Kongress „Die Medien im Wahlkampf“ noch zustande kommen, wird man bei der Bestandsaufnahme des Mediums Print auch über die Defizite des Fernsehens und damit notwendigerweise über seine Leitgesichter (Hahne, Christiansen, Schausten usw.) reden müssen. Weil sie von der Politik, den anderen Medien und letztlich selbst von vielen sie verachtenden Medienschaffenden als Standard angenommen und transportiert werden – und damit eine Lawine auslösen.

Ein Hauptübel des Wahlkampfs war das so genannte „TV-Duell“. Die Bundestagswahl und fünf Parteien verkürzt auf: ein Mann gegen eine Frau. Piff, paff. Das Problem besteht nicht nur darin, dass Deutschland nicht Amerika ist. Das Fernsehen hatte das Duell-Leitmotiv weitgehend als Motiv der gesamten Berichterstattung übernommen.

Schlimmer: Die Printmedien machen mit und berichten über und „analysieren“ die Fernsehbefragung. Weil man denkt, es sei wichtig. Weil man denkt, man komme nicht drumrum. Weil es bequem ist und einem eh nichts Besseres einfällt.

Dreimal falsch: Dieses Oberflächenthema hätte man sich – jenseits der Medienseite – besser komplett gespart. Aber auch die Parlamentarier machen ja die den Parlamentarismus verhöhnende Personalisierung wacker mit. Ein Indiz dafür ist die Fixierung der SPD auf Schröder. Und auch die Union konnte Merkel praktisch gar nicht entsorgen. Das Fernsehduell hatte ja den Wählern versprochen: Entweder Schröder oder Merkel. Wulff, Münte, Stoiber waren nicht im „TV-Duell“ und wären Betrug am (bei ARD und ZDF Gebühren zahlenden) Wähler gewesen.

Das Fernsehen selbst steigerte sich dermaßen rein, dass es am Wahlabend total konsterniert schien. Insofern entsprang Peter Hahnes Anrede der Kandidatin mit „Frau Bundeskanzlerin“ vermutlich bloßer Verzweiflung über einen Wahlausgang, auf den er und sein Medium nicht eingestellt waren. Danach wurde alles noch schlimmer.

Die Koalitionssondierungen wurden als Personalsondierungen transportiert. Und je unklarer die Zuordnung von Person und Amt war, desto hektischer wurde darüber „informiert“, wer hinter welcher Tür saß oder in welches Auto einstieg. Auch und gerade Fernsehjournalisten, das zeigte der Wahlkampf, sind anfällig und manchmal dankbar dafür, sich die täglichen Infotainmenthappen andrehen zu lassen (erst Kirchhof super, dann Kirchhof superschlecht) und darüber den Blick für das Wesentliche zu verlieren (es ging gar nicht um Kirchhof). Das Problem: Wenn und weil das Leitmedium Fernsehen nur über Stoiber, Kompetenzteam und Flatrate redet, wird es für die Printmedien noch schwerer, die Kompetenz und Kraft zu finden, die wahren Themen anzugehen und von den Politikern einzufordern. Etwa die europäische Dimension in einem absurd nationalistisch verkürzten Wahlkampf.

Besserung ist nicht in Sicht, denn dafür brauchte es Einsicht. Etwa die, dass es gar nicht geht, dass eine Journalistin, die Politiker interviewt, später in ihre eigene Sendung oder das Frühstücksfernsehen „zugeschaltet“ wird, wo sie beurteilt, wie sie die Interviewten so beim Interviewtwerden fand. (Sie fand die ihr nahe stehende Politikerin gut.) Die Einsicht gibt es nicht. Weil: Es geht ja. Sabine Christiansen macht das. Thomas Roth macht mit. Und die ganze ARD auch.

Es reicht nicht, wenn so was auf Medienseiten Thema ist. Das Fernsehen muss sich mit sich selbst auseinander setzen. Deshalb schlage ich eine Sendung vor, in der Medienwissenschaftler, Journalisten, meinetwegen auch Politiker die politische Berichterstattung des Fernsehens sezieren. Wie „TV Total“, nur ernst.

Da wird dann der Ausschnitt mit Christiansen und Roth in Superzeitlupe gezeigt und analysiert. Dann überlegen die sich das beim nächsten Mal. Vielleicht. Da werden die Vor-der-Tür-Steher-Zuschaltungen auf Substanz überprüft. Da wird auch geklärt, ob Illner tatsächlich vor Merkel buckelte. Vielleicht könnte man sogar ein paar richtige Menschen mitmachen lassen: Zuschauer, Wähler. Das wäre spannend, produktiv, ein Akt journalistischer Hygiene. In seiner Selbstkritik souverän.

Eine Nischensendung? Ach was: Jeder will das sehen. Zumindest die komplette Infoelite. Der Grimme-Preis ist praktisch garantiert.

Fotohinweis: PETER UNFRIED CHARTS Fragen zur GEZ? kolumne@taz.de Morgen: Bernhard Pötter über KINDER