Gewagte Übertragungen

Einladung ins literarische Musterland: Südkorea ist Weltmeister im Erwerb von deutschen Lizenzen, von Thomas Mann bis Michael Ende ist fast alles übersetzt. Andersherum sieht es aber traurig aus – die Frankfurter Buchmesse soll das nun ändern

Die Probleme literarischer Übersetzungen sind groß: Die koreanische Sprache gilt als eine der schwersten der Welt

VON SUSANNE MESSMER

Samsung, Hyudai und Deawoo: klar. Dann, bei angestrengterem Nachdenken: Koreakrieg und Teilung des Landes, das Atomprogramm von Nordkorea. Das ist es im Wesentlichen, was einem zu Korea einfällt. Und in puncto Kultur? Na ja, wenn es hoch kommt, vielleicht der neue koreanische Film. Aber Literatur? Dass Korea ein Leseland ist, dass es international die Nummer sieben in Bezug auf Neuerscheinungen ist, dass der Markt jährlich um zehn Prozent wächst – all das ist in Deutschland höchstens absoluten Insidern bekannt.

Ebenso erstaunlich scheint es Außenstehenden, dass in Korea auch viel und gern deutsche Literatur gelesen wird, dass dieses Land Weltmeister im Erwerb deutscher Lizenzrechte ist, von Thomas Mann bis Michael Ende und Thomas Bernhard bis Käpt’n Blaubär so ziemlich alles übersetzt ist, was in Deutschland Rang, Namen und gute Verkaufszahlen hat. Denn dieses Interesse ist absolut einseitig. Wer das wenige, das in deutscher Übersetzung erschienen ist, versucht hat zu lesen, stöhnt in der Regel über konventionell erzählte, schwere und selbstquälerische Leidensgeschichten, über ihren hölzernen und verstiegenen Stil. Ob daran ausgerechnet die Frankfurter Buchmesse etwas ändern wird, die morgen beginnt in diesem Jahr Korea als Gastland eingeladen hat: Das ist unwahrscheinlich.

Es beginnt schon damit, dass sich die deutsche Verlagslandschaft in der Regel sehr dazu beflissen fühlt, auf das Gastland der Buchmesse zu reagieren, dass aber diesmal ziemlich wenig erschienen ist. Abgesehen von den Kleinverlagen, allen voran Pendragon und Peperkorn, die schon seit fast zehn Jahren in jeder Saison zwei, drei koreanische Titel herausbringen, haben in diesem Herbst nur zwei große Verlage koreanische Literatur ins Programm aufgenommen.

Der Deutsche Taschenbuch Verlag, der immer auf die Idee Gastland eingeht, hat sich auch diesmal nicht schrecken lassen und sich mit zwei Romanen auf den koreanischen Erzähler Hwang Sok-yong konzentriert, eine Art koreanischen Günter Grass, der zur einflussreichen Generation derer gehört, die Krieg und Teilung erlebt haben und zum sehr ernsten Thema machen.

Außerdem hat der Verlag eine große Anthologie, „Koreanische Erzählungen“, organisiert – ein schöner Querschnitt mit auch jüngeren Schriftstellern, die in einem entwickelten und demokratischen Korea aufgewachsen sind, denen es also nicht mehr nur um Krieg, Teilung des Landes und Militärdiktatur geht, sondern um Themen, wie sie auch in Büchern junger deutscher Autoren vorkommen.

Mit einer etwas weniger ehrgeizigen Anthologie, in der weniger Geschichten ausschließlich älterer Autoren zu finden sind, und einer Neuauflage eines schmalen Gedichtbands von Ko Un, dem berühmtesten koreanischen Lyriker, hat es in diesem Jahr der Suhrkamp Verlag auf sich beruhen lassen. „Vieles von dem, was die deutsche Verlagslandschaft für die Länderschwerpunkte der Buchmesse getan hat, ist im Ghetto gelandet“, sagt Hans-Ulrich Müller-Schwefe, der die koreanischen Titel im Verlag lektoriert hat. „Die Idee war, nicht ein weiteres Ghetto anzulegen, sondern im normalen Programm gute Literatur mitlaufen zu lassen, die nicht nur gelesen werden soll, weil sie aus Korea stammt“, meint er. Und erinnert damit daran, dass von vielen Länderschwerpunkten wenig hängen geblieben ist, dass sich heute zum Beispiel kaum mehr jemand für Literatur aus Griechenland (Gastland 2001) oder Litauen (Gastland 2002) interessiert und dass das Konzept nicht umsonst auch schon einmal abgeschafft werden sollte.

Um eine Literatur wie die koreanische in Deutschland zu vermitteln, bräuchte es wahrscheinlich wirklich viel mehr als ein paar Stände und etwas Folklore auf dem Messegelände, die Präsenz von 60 Autoren, die ein halbes Jahr im Vorfeld auf Lesetour durch Deutschland waren und ein bisschen Begleitprogramm aus Film, Kunst und traditioneller Musik – und sei das auch alles von koreanischer Seite noch so finanziell aufwändig vorbereitet und masterplanmäßig durchorganisiert. Auch, wenn Deutschland und Korea oberflächlich betrachtet einiges gemein haben, mit dem Maß an Melancholie und Leid, das in fast allen Büchern aus dem Land mitschwingt, in Büchern, die oft von zerbrochenen Familien handeln, von der vaterlosen Nachkriegsgesellschaft, können hierzulande nur noch wenige etwas anfangen. 35 Jahre brutale japanische Kolonialherrschaft, die viele zwang, nach ihrem Ende 1945 die eigene Sprache und Schrift, das Hangul, neu zu erlernen, aber auch die Besetzung des Landes durch Amerika und die Sowjetunion, die Trennung, der Koreakrieg, der von den meisten Koreanern nicht gewollt wurde und bis heute Bruderkrieg genannt wird, der darauf folgende Kalte Krieg, die Angst vor Verrätern und Renegaten: Die ungebrochen kummervolle Thematisierung all dieser Probleme verkraftet der auch nur minimal vergnügungssüchtige Leser aus Deutschland nur bedingt.

Selbst bei jüngeren Autoren, Autoren die in den späten Sechziger- oder frühen Siebzigerjahren geboren sind, die sich stilistisch weiter vorwagen, lakonischer und subjektiver schreiben und sogar manchmal mit fantastischen Momenten experimentieren, werden deutsche Leser thematisch eher selten fündig werden. Das Aus für autokratisch regierende Präsidenten im heute demokratischen Südkorea kam spät, die blutige Niederschlagung zweier Studentenrevolutionen 1960 und 1980 ist noch sehr präsent, der Preis für den rasanten Modernisierungsschub, der in Korea dreimal so schnell vonstatten ging als in Europa, war hoch.

Und dass der „Bambusvorhang“ zwischen Nord und Süd nach wie vor wasserdichter ist, als es der Eiserne je war, belegt schon die Tatsache, dass Nordkorea die Einladung der Frankfurter Buchmesse bereits im Winter ausgeschlagen hat.

Zu all diesen Vermittlungsschwierigkeiten kommt ein enormes Übersetzungsproblem. Die koreanische ist mit der finnischen und der ungarischen Sprache verwandt und gilt als eine der schwersten der Welt. Es gibt nur eine Hand voll Übersetzer in Deutschland, die Literatur aus dem Koranischen übersetzen können – und immer sind auch diese auf Zusammenarbeit mit einem Muttersprachler angewiesen. Ulrike Ostermeyer, die vor kurzem beim Deutschen Taschenbuch Verlag Lektorin war und dort das koreanische Programm betreut hat, erzählt freimütig von den Problemen, die zum großen Teil auch auf falschen Vorstellungen auf der koreanischen Seite beruhen. Auf den Hauptautor des Programms, Hwang Sok-yong, sagt sie, ist sie nur gekommen, weil der Autor bereits sehr gut ins Französische übertragen wurde.

Man muss wissen, dass viele Übersetzungen direkt aus Korea gesponsert werden – und dass es dem gut ausgebauten koreanischen Förder- und Stiftungssystem zu verdanken ist, der Bezuschussung von Übersetzungen und Druckkosten, dass kleine Verlage wie die eingangs erwähnten Pendragon und Peperkorn überhaupt überleben können.

Auch die Texte für die Anthologie „Koreanische Erzählungen“ kamen beim Deutschen Taschenbuch Verlag fertig übersetzt an, allerdings waren sie, wie Ulrike Ostermeyer sagt, „teilweise von fragwürdiger Qualität“. Auch weil Korea bislang so wenig Kultur exportiert hat, ist die Angst vor Textverfälschung groß. Die Übersetzer in Korea sind oft keine literarischen Übersetzer, und es ist immer der koreanische Übersetzer im koreanisch-deutschen Team, der die Hauptrolle spielt – absurd, wenn man sich vorstellt, wie ein Koreaner Zwischentöne und Sprachbilder im Deutschen finden soll, wenn die koreanischen einfach nicht eins zu eins übersetzbar sind.

Und dennoch gibt es bei den koreanischen Erzählungen und Romanen, die in diesem Herbst auf Deutsch erscheinen, auch Ausnahmen. Eine dieser Ausnahmen ist besagte Anthologie im Deutschen Taschenbuchverlag. Eine ihrer schönsten Geschichten, „Die Verwandlung meiner Frau“, erzählt von der Flucht vor der Tristesse des Alltags – von einer Frau, die sich in eine Pflanze verwandelt. Auch diese Geschichte ist melancholisch, das schon. Trotzdem kommt sie leichtfüßig daher.

Geht man von dieser sorgfältig lektorierten Erzählung aus – und von der Tatsache, dass auch jüngere koreanische Leser wegen der puren Schönheit ihrer Sprache oft von ihren älteren Erzählern schwärmen – man könnte wirklich meinen, dass nicht die koreanische Literatur immer nur schwierig ist, sondern oft vor allem ihre Übersetzung. Und vielleicht ist der Länderschwerpunkt der Buchmesse ja wenigstens ein Anstoß, dieses Problem anzugehen.

„Auch wenn der Länderschwerpunkt nichts bringt: Vielleicht geht es ja im nächsten Jahr mal mit drei, vier Titeln los“, hofft am Ende sogar Hans-Ulrich Müller-Schwefe vom Suhrkamp Verlag, der zuvor von Ghettoisierung sprach. Und dann erzählt er von den Wünschen seines Verlags, den koreanischen Großschriftsteller Yi Munyol ans Haus zu binden – eine Art Martin Walser Koreas. Trotz seiner turbulente Biografie, trotzdem Yi Munyol von Schulen flog, durch Prüfungen fiel, Ausbildungen abbrach, zeitweilig obdachlos lebte, hält er noch immer an konfuzianischen Idealen fest, an der bedingungslosen Unterordnung des Individuums unter die Bedürfnisse der Gemeinschaft, und gilt als konservativer Autor. Dennoch wird er wegen seines außergewöhnlichen Sprachstils auch von anders denkenden Lesern geschätzt. Bisher sind von Yi Munyol zwei wichtige Bücher im Pendragon Verlag erschienen, trotzdem sollte man sich unbedingt auf eine Neuübersetzung freuen.