Die vergessenen Genies

Koreanische Woche der Wahrheit: Ein Besuch in Nordkoreas Huldigungsschmiede

Nordkorea – Land der schroffen Berge und der lieblichen Täler! Land auch der letzten stalinistischen Regierung auf Erden. Unzählige Mythen und Mären ranken sich um Kim Il Sung, den verewigten Staatsgründer, und seinen Sohn Kim Jong Il, der den Thron des Vaters 1994 erbte. Aber wer hat diese fabelhaften Geschichten ersonnen? Pünktlich zum 60. Geburtstag der Kommunistischen Partei Nordkoreas lüftet die Führung eines ihrer bestgehüteten Geheimnisse. Eine Delegation der Wahrheit durfte die Huldigungsschmiede „Blutfarbenes Morgenlicht umfließt die zum Parteigruß gereckten Fäuste unserer ruhmreichen Arbeiter und Bauern“ besuchen.

Kim Il Punk, Direktor des Künstlerkaderkollektivs, ist ein zierlicher Greis. Doch als er uns zur Begrüßung die Füße schüttelt, zeigt er sich geschmeidig wie ein junger Bursche. Das Rezept für so viel Fitness? „Kein Fleisch, kein Fisch, kein Fett – und nur eine warme Mahlzeit im Monat“, schmunzelt der alte Herr. „Seit unser gewaltiger Führer und allwissender Lehrmeister dieses geniale Mittel zur Volksgesundheit ersonnen und eingeführt hat, beneidet uns die Welt!“ Der Satz klingt wie auswendig gelernt. Kein Wunder: 1998 hat Il Punk eine achtstündige Volksoper unter diesem Titel komponiert und mit sich selbst in sämtlichen Hauptrollen zur Aufführung gebracht. Diese Titanentat wurde mit dem bedeutendsten Amt belohnt, das der nordkoreanische Kulturapparat zu vergeben hat.

„Bis heute stehe ich auf der Bühne“, lächelt Il Punk. „Am liebsten in meinem Jugendwerk ‚Eine Handvoll koreanischer Helden zerschmettert die teuflischen Armeen des amerikanischen Aggressors‘. Sie kennen es vielleicht in der Hollywood-Version.“ Wir verneinen. „Doch, ganz sicher“, grinst der Direktor. „Es wurde für westliche Verhältnisse adaptiert als ‚Die glorreichen Sieben‘.“

Eine erstaunliche Enthüllung! Aber Kim Il Punk winkt bescheiden ab: „Dergleichen geschieht viel öfter, als Ihre manipulierten Medien melden“, lacht er. „Tatsächlich hat sich unser Kollektiv zu einem der bedeutendsten Vorlagenlieferanten für Drehbücher, Lieder, Romane und Dramen in Ihrer Hemisphäre entwickelt.“ So sei das gesamte Werk Günter Grass’ von Werken aus dem Institut „Morgenlicht“ beeinflusst. „Die Blechtrommel“ beispielsweise basiere auf Kim Il Schwungs Chorwerk für 20.000 Sänger „Am 38. Breitengrad schlug unser göttlicher Führer die Pauke des Widerstandes, im Widerhall erzitterte der Kosmos“. George Lucas’ „Star Wars“-Filme wiederum seien ein Abklatsch des Massentanzdramas „Die Sonnen neigen sich vor dem Mut unserer unbesiegbaren Schwadronen“. Geschrieben hat es Kim Il Dung, der Gründungsdirektor des Künstlerkollektivs.

Tief beeindruckt lassen wir uns in die Werkhalle führen. Der riesige Raum ist erfüllt vom Geklapper hunderter Schreibmaschinen. Schreibmaschinen?! Im digitalen Zeitalter? „Nein, das ist nicht rückschrittlich, sondern eine bewusste Entscheidung“, grient der muntere Greis. Er führt uns zu einem der winzigen Arbeitspulte. Es zerbricht fast unter der Last des gigantischen Tippwerkzeugs. Il Punk zeigt mit dem großen Zeh auf eine Bronzeplakette am Gehäuse. Ein einziges Schriftzeichen ist darin eingraviert: „Gegossen aus dem Stahl eines von den ruchlosen Yankees erbeuteten Panzers“, übersetzt unser Dolmetscher.

„Ja, wir atmen hier überall Geschichte, und das inspiriert uns“, kichert Kim Il Lung, der Meisterschüler des Direktors, den wir hinter der mannsgroßen Maschine zunächst gar nicht gesehen haben. Mit fliegenden Zehen bedient er die Tastatur, während wir in einer Geruchswolke von Sellerie stehen und uns unterhalten. Er arbeitet an der 46. Fortsetzung seines Erfolgsromans „Der Lotusblüte gleich entfaltet die Diktatur der Bauern und Arbeiter ihre Schönheit“. Wir vermuten, dass Il Lungs Werk als Vorbild für die Stücke des diesjährigen Nobelpreisträgers Harold Pinter gedient hat … „Ganz falsch, meine langnasigen Freunde“, gackert der schmächtige Nationaldichter. Vielmehr seien seine Romane zu James-Bond-Filmen umgearbeitet worden. Und Ian Fleming? „Eine Chimäre, ausgeheckt, um die Impotenz eurer imperialistischen Bonzen und Ausbeuter zu tarnen“, prustet Il Lung. Mit dem linken Fuß tätschelt er uns tröstend die Schultern.

Als wir den Direktor der Huldigungsschmiede in sein karges fensterloses Büro zurückbegleiten, fragen wir ihn, wie er es empfinde, nicht zur Buchmesse nach Frankfurt eingeladen worden zu sein. Immerhin sei Korea dort Gastland – aber niemand wisse um die Errungenschaften des Kollektivs „Morgenlicht“! Für einige Sekunden weicht das unergründliche Lächeln aus dem Gesicht Il Punks. „Wir schaffen hier unter dem Antlitz der Ewigkeit“, feixt er endlich, „und sind erhaben über kapitalistische Eitelkeiten. Mögen unsere verräterischen Brüder im Süden sich ruhig brüsten. In Wirklichkeit sind auch ihre Machwerke nur ein Abklatsch des unversieglichen Stroms gewaltiger Kunst aus diesen schlichten Räumen.“ Sein Fußdruck zum Abschied scheint noch kraftvoller als bei der Begrüßung. KAY SOKOLOWSKY