Kopfgeldjäger, Prügelknaben, Niedriglöhner

Fahrscheinkontrolleure leben gefährlich. Psychologisches Gespür ist gefragt, wenn Fahrgäste Rabatz machen. Hinzu kommt: Der Job ist mies bezahlt

PROTOKOLL VON ULRICH SCHULTE

„Es klingt vielleicht seltsam, aber manchmal bin ich gerne Fahrkartenkontrolleur. In dem Job habe ich viel mit Menschen zu tun. Ich berate die Fahrgäste ja auch, wenn sie ein Problem haben. Ich bin in der ganzen Stadt unterwegs. Andererseits ist der Frustfaktor sehr hoch. Ich halte für wenig Geld meine Fresse hin. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Dass ich im Dienst beschimpft werde, kommt oft vor, letztens hat ein Mann im Waggon richtig Rabatz gemacht. „Verpiss dich, du Hurensohn!“, das bekommt man dann zu hören und diverse andere Beschimpfungen. So etwas geht bei mir zum einen Ohr rein und zum anderen raus. Wer das nicht abkann, muss sich einen anderen Beruf suchen.

Schlimmer ist es, wenn Fahrgäste rabiat werden. Jedes Jahr gibt es viele Angriffe auf Kollegen. Wir hatten schon Platz- und Bisswunden, Schwellungen, Armbrüche, auch Stichverletzungen kamen vor. Mancher zieht sogar eine Waffe, um sich eine Freifahrt zu erzwingen.

In den heißen Sommermonaten war’s besonders heftig. Jede Woche kam es zu zwei, drei Angriffen, nach denen sich die Leute dann auch krankschreiben ließen. Oder Fahrgäste mit Hund, das ist ein ganz eigenes Thema – da heißt es vorsichtig sein, sonst hast du das Vieh an der Gurgel.

Arbeitsunfall, darunter fällt so etwas dann, mein letzter passierte im vergangenen Jahr. Bei einer Kontrolle in der U-Bahn will ein Typ sein Ticket nicht zeigen. Er diskutiert; als die Bahn hält, schlägt er mir plötzlich mit der Faust ins Gesicht. Und ist weg. Ohne Vorwarnung. Nach dem Erlebnis hat der Personalchef mir nicht mal „Gute Besserung“ gewünscht, das hat mich schon gekränkt. Für die Firma sind wir jederzeit austauschbar, die Fluktuation unter den Kollegen ist hoch.

Auf Strecke gehen ist gefährlicher geworden in der letzten Zeit. Die Zahl der Menschen, die vielleicht nichts mehr zu verlieren haben, denen alles egal ist – auch eine Anzeige wegen Körperverletzung –, nimmt zu. In solchen Situationen rufen wir per Handy Kollegen zu Hilfe, bei harten Sachen auch die Polizei. Viel wichtiger aber ist psychologisches Geschick, du musst blitzschnell entscheiden: Lasse ich den laufen, oder nehme ich Schläge in Kauf?

Ich arbeite oft sechs Tage in der Woche, das sind dann 54 Stunden – zum Wäschewaschen oder Putzen bleibt der Sonntag. Bei einem Stundenlohn von 5,52 Euro komme ich auf ein Monatsgrundgehalt von maximal rund 1.200 Euro brutto. Das ist eine Frechheit, aber immerhin: Man hat Arbeit.

Dazu zahlt die Firma eine Zulage von 1,02 Euro pro Stunde. Dafür muss ich aber am Monatsende einen Schnitt von mindestens 12,5 erwischten Schwarzfahrern am Arbeitstag vorweisen. Wer im Schnitt 10 erwischt, bekommt nur die Hälfte, also 51 Cent pro Stunde. Wer unter einem 10er-Schnitt bleibt, bekommt überhaupt keinen Aufschlag (die taz berichtete). Die Zulage bringt im Monat also zirka 200 Euro, da denkt man sich natürlich: Haben oder nicht haben. Ich hatte oft Glück und bekam die Prämie ausgezahlt. Auch wenn alle offiziell eine Fangquote immer abstreiten, eigentlich sind wir Kopfgeldjäger. Mit dem Finanzamt habe ich nie Probleme, bei dem Lohn zahle ich eh kaum Steuern.

Der Personalchef macht den Teamleitern Druck, die geben ihn an uns, die Läufer, weiter. „Mach mal, mach mal, mach mal!“ ist die Ansage. Ich bleibe trotzdem entspannt, aber viele unserer Leute stehen wegen der Vorgaben unter Stress. Besonders die Neulinge werden in die Mangel genommen, damit sie die Zahlen bringen. Deshalb werden schon mal Leute aufgeschrieben, bei denen man auch Kulanz zeigen könnte. Wenn jemand zum Beispiel keine Karte für sein Fahrrad gelöst hat oder wenn ein Fahrgast aus Versehen nur einen ermäßigten Fahrschein gelöst hat. Der Druck ist zu groß.

Für Touristen gilt inzwischen eine eigene Regelung von der BVG. Wer nicht gestempelt hat, darf das nachholen. Nur wer gar kein Ticket vorzeigen kann, wird aufgeschrieben. Jedenfalls sollte das so sein, manche Kollegen legen das großzügig zu ihrem Vorteil aus. Touristen haben nämlich den Vorteil, dass sie meist sofort in bar zahlen.

Wenn ich privat unterwegs bin, erkenne ich Kontrolleure sofort, wenn sie einsteigen. Die meisten tragen ihre Umhänge- oder Bauchtasche offen, in der bewahren wir Quittungsbuch und Erfassungsgerät auf. Ich arbeite immer mit einem, manchmal mit zwei Kollegen zusammen. Bei den Kontrollen gibt es zwei Strategien. Man kann die Strecke ausfahren, das heißt, man arbeitet sich zwischen den beiden Endstationen durch eine ganze U-Bahn. Häufiger aber gibt es die Ansage: Kernbahnhof. Die 10 bis 14 Leute, die einem Teamleiter unterstehen, kontrollieren dann um einen Bahnhof herum und fahren jeweils an der nächsten Station zurück. Im Waggon verhalten wir uns immer ähnlich. Wir steigen ein und warten, bis die Tür zu ist. Dann heißt es „Die Fahrausweise, bitte!“, und wir kontrollieren aufeinander zu. So geht uns keiner durch die Lappen.

Einen typischen Schwarzfahrer gibt es nicht. Egal ob in Kreuzberg, Neukölln oder Spandau, überall erwischt man Leute ohne Ticket. Interessant ist, dass man im Ostteil mehr Leute erwischt als im Westen. Keine Ahnung, woran das liegt. „Fahrschein verloren“ oder „Portmonee vergessen“, das sind die Klassiker, die wir mehrmals täglich hören. Auch gefälschte Fahrscheine werden mir immer mal wieder unter die Nase gehalten. Das „Wachsen“ ist beliebt. Das Ticket wird mit Wachs eingerieben, dann kann man den Stempelaufdruck wieder abreiben. Ein billiger Trick, den ein geübter Kontrolleur sofort erkennt.“