Petz und Krokodil

Keren Ann, in Frankreich längst ein Star, setzt mit ihrem vierten, Folk-inspirierten Album „Nolita“ auf den großen internationalen Erfolg. Nun kommt sie endlich auch auf Tournee nach Deutschland

von REINHARD KRAUSE

Etwas abseits, nicht gleich sichtbar, liegt ein Plüschkrokodil auf einem Sessel, und daneben noch ein anderes pelziges Tier. Keren Ann, Frankreichs beste Singer-Songwriterin der vergangenen Jahre, hat die Stofftiere sicher mitgenommen, um in der anonymen Seitenbar des Hotels einen Hauch Privatheit um sich zu haben. Irritierend nur, dass der Petz und das Krokodil nagelneu aussehen, Talismane mit fabrikneuer Aura.

Vielleicht ist Keren Ann Zeidel einfach sehr ordentlich. Ihr Leben jedenfalls folgt derzeit einem strengen und gewissenhaft eingehaltenen Plan, und der heißt: Frankreich ist erobert, New York ist erobert, jetzt ist der Rest der Welt an der Reihe. Die Chancen stehen gut, denn „Nolita“ ist großartig: das Album, für das die 31-Jährige seit einem Jahr Land für Land abklappert und dabei ständig die Kontinente wechselt, als gäbe es keinen Jetlag. Eine Reise der Ungleichzeitigkeiten. Denn wer wollte, konnte das in Deutschland erst jetzt erschienene Album längst als Import kaufen.

„Nolita“ ist die Abkürzung für North of Little Italy, den Stadtteil New Yorks, in dem sich Keren Ann neben Paris ein zweites Standbein aufgebaut hat. Es ist ihr viertes Solo-Album und das zweite mit englischen wie französischen Titeln. Neofolk meets Chanson, Introspektion trifft Melodie, Suzanne Vega trifft Nico trifft Stina Nordenstam.

Es hat den Anschein, als wolle die Sängerin mit den niederländisch-javanisch-russisch-israelischen Wurzeln es jetzt ein für alle Mal wissen: Entweder sie wird nun ein internationaler Star oder … Ja, was eigentlich? Keren Ann selbst jedenfalls kann nichts Besonderes an ihrer schier endlosen Werbekampagne in eigener Sache finden. „Das ist mein zehntes Interview heute. Aber ich kann mich nicht beklagen, man hat mir heute viele Komplimente gemacht. Mir ist es lieber, ich habe einen Tag wie diesen und kann mich dann wieder nur der Musik widmen.“

Wer Keren Ann noch als schüchterne Performerin in Erinnerung hat, konnte sich im vergangenen Jahr nur wundern, als sie mit tiefen Blicken aus dick kajalumränderten Augen im französischen TV zu sehen war. Das brave Mädchen von einst wirkt plötzlich wie eine somnambule Rachegöttin. „Ja“, sagt sie freundlich, „zurzeit lege ich viel Schwarz auf. Das ist so eine Phase.“ Ihre schwarze Phase?! „Nein, keine schwarze Phase. Einfach eine Phase mit viel Make-up. Manchmal nehme ich viel, manchmal wenig.“

Keren Ann auf irgendetwas festlegen zu wollen, ist ein schwieriges Unterfangen. Diese Erfahrung musste auch Françoise Hardy machen, die Kollegin, mit der sie – zu Recht – am häufigsten verglichen worden ist. Hardy, auch als Astrologin anerkannt, hatte der ähnlich melancholisch wirkenden Keren Ann ein Horoskop erstellt und war zu dem Schluss gekommen, die Geburtsdaten könnten unmöglich stimmen. Die Sterne nämlich würden sie nicht nur als träumerisch ausweisen, sondern gleichermaßen als agil, unternehmerisch, extrovertiert. „Sie denkt noch heute, dass die Daten falsch sind“, bemerkt Keren Ann süffisant. „Aber sie stimmen.“

Zur Doppelgesichtigkeit des Horoskops passt es gut, dass Keren Ann auf dem Cover von „Nolita“ gleich zweifach zu sehen ist. Warum? „Eigentlich finde ich, dass zwei gar nicht ausreichen. Bei diesem Album gibt es zwei Personen: mich und die Erzählerin, Alice. Diese Alice ist in gewisser Weise fiktiv, auch wenn sie Aspekte von Frauen aus New York in sich birgt wie auch Teile von mir.“ Zu hören allerdings ist stets und unverkennbar Keren Ann. Und das ist sehr gut so.

Tourtermine: Leipzig 19. 10., Hamburg (mit Maximilian Hecker) 20. 10., Berlin 21. 10., Bonn 22. 10., Stuttgart 23. 10., Heidelberg 24. 10., Frankfurt am Main 25. 10.