Die Vermessung der Bestsellerliste

Buchmessern (2): Erstmals ausgelobt – der Deutschen Buchpreis für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres

Bodo Kirchhoff hatte seine kleine Ansprache beendet, da fiel ihm ein, was er noch sagen wollte, und zwar ganz ausdrücklich: „Wir wollen, dass dieses Buch ein Bestseller wird, ja, sie hören richtig, ein Bestseller, dieses Buch soll in die Bestsellerlisten, da gehört es hin.“ Dieses Buch, von dem Kirchhoff so enthusiasmiert sprach, trägt den Titel „Es geht uns gut“, ist ein Familienroman und stammt von dem 37 Jahre alten österreichischen Schriftsteller Arno Geiger; es wurde am Montagabend bei einem Festakt im Frankfurter Römer mit dem erstmals vergebenen Deutschen Buchpreis für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet.

Sinn und Zweck dieses vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels und diversen Partnern (unter anderem der Spiegel, die Stadt Frankfurt, die Buchmesse) ausgelobten Preises: ein deutsches Pendant zu international renommierten Preisen zu schaffen, etwa dem Booker Preis. Und damit einen Haufen Romane aus dem deutschsprachigen Raum so lange wie möglich im Gespräch zu halten, vielleicht sogar zu Longsellern zu machen. Eine siebenköpfige Jury unter Vorsitz des Schriftstellers Bodo Kirchhoff hatte also aus über 120 von den Verlagen eingesandten Büchern eine Longlist aus rund 20 Büchern erstellt, ganz nach Booker-Preis-Vorbild, um diese zur Shortlist zu verkleinern, aus der der Sieger ermittelt wurde.

Der Spiegel, wie es sich für einen Partner und Geldgeber gehört, druckte die Longlist, flankiert von einem Überblickstext seines in der Jury sitzenden Literaturredakteurs über die Rückkehr der als „überholt geglaubten Form des Familien- und Generationenromans“, in dessen Mittelpunkt, na wer wohl?, Arno Geigers „Es geht uns gut“ stand; die Feuilletons bemühten sich, die Bücher der Shortlist frühzeitig zu besprechen; und die Verlage schickten die Bücher mit einem „dbp05“-Sticker auf dem Cover an die Buchhandlungen.

Eine schöne konzertierte Aktion also, die nun am Montagabend mit einer zügigen und angenehm unpeinlichen Verleihungszeremonie abgeschlossen wurde; auch „Tagesschau“ und „heute journal“ berichteten. Einigermaßen durchsichtig aber war es. Mutig wäre es gewesen, Friederike Mayröcker für ihr Ernst-Jandl-Beziehungsbuch „Und ich schüttelte einen Liebling“, Gila Lustiger für ihren Vater-Tochter-Roman „So sind wir“, Gert Loschütz für seinen dunklen, surreal eingefärbten Roman „Dunkle Gesellschaft“ oder Thomas Lehr für seinen philosophischen Abenteuerroman „42“ mit dem Preis zu ehren. Doch sie haben nicht unbedingt das Zeug zum Bestseller und fordern einem ganz großen Publikum möglicherweise zu viel Konzentration ab, das den Deutschen Buchpreis dann womöglich für eine Highbrow-Veranstaltung des inneren Zirkels des Literaturbetriebs hält. Daniel Kehlmanns gefeierter Humboldt-Gauß-Roman „Die Vermessung der Welt“ wiederum steht schon auf der Bestsellerliste (aktuell Platz 4), nach seiner Lobpreisung durch Elke Heidenreich.

Blieb also nur Arno Geigers leicht erzählter, wenn auch klug das Erzählte analysierender Roman „Es geht uns gut“: ein Roman über das Vergessen und das Erinnern, über Verfall und Vorläufigkeit. Vor allem aber eben ein Familienroman, ein markttaugliches Genre, das seit einigen Jahren Hochkonjunktur hat. Dass Geiger 2004 in Klagenfurt beim Ingeborg-Bachmann-Lesen mit einem „Es geht uns gut“-Auszug keinen von fünf Preisen gewann, muss dabei gar nicht stören: Jedem literarischen Preis wohnt eine gewisse Willkür inne. Aber jeder ernst zu nehmende Preis ist auch irgendwann wichtiger als die Nominierten und Preisträger selbst. Ob das dem Deutschen Buchpreis gelingt, wird erst die fernere Zukunft zeigen. Für Größe und Relevanz benötigt er vor allem eins: viel Zeit.

GERRIT BARTELS