„Wer Druck ausübt, automatisiert Übergriffe“

Ver.di-Fachmann Uwe Borck beklagt den Stress der Kontrolleure. Die könnten nur mit Tricks die Quoten erfüllen

taz: Herr Borck, die Sicherheitsfirma GSE hat bestätigt, dass sie ihren Kontrolleuren Fangprämien zahlt. Überrascht Sie das?

Uwe Borck: Nein. Bevor die BVG den Kontrollauftrag im Jahr 2002 an die GSE und die Wachschutzgesellschaft vergab, arbeitete sie mit der Sicherheitsfirma WISAG zusammen. Auch damals wurden Prämien für erwischte Schwarzfahrer gezahlt. Das Verfahren ist daher nicht ungewöhnlich und von vornherein einkalkuliert. Wenn BVG-Verantwortliche jetzt so tun, als wüssten sie nichts, lügen sie. Ich bin sicher, dass die BVG sogar die Mehrkosten für die Prämien übernimmt.

Das ist ein schwerer Vorwurf. Die BVG soll die Zulage selbst zahlen, die GSE verteilt sie nur an ihre Kontrolleure?

Die Verrechnungssätze, die öffentliche Unternehmen wie die BVG privaten Sicherheitsfirmen zubilligen, sind äußerst knapp. Bei der Ausschreibung bekommt schließlich der Billigste den Zuschlag. Ein Lohnaufschlag von 20 Prozent sitzt da gar nicht drin. Und nichts anderes ist ja eine Zulage von 1,02 Euro pro Stunde.

Die GSE könnte sich Prämien für erwischte Schwarzfahrer also schlicht nicht leisten?

Richtig. Um von der BVG beauftragt zu werden, muss die Privatfirma mit dem niedrigstmöglichen Stundenlohn kalkulieren. Außerdem will die Geschäftsführung ja auch noch Gewinn machen. Üblicherweise vereinbaren beide Seiten die Abnahme eines Stundenkontingents. Die BVG kauft also zum Beispiel 1.000 Stunden monatlich Kontrolleursdienste ein. Ich gehe davon aus, dass die Abmachung auch beinhaltet, Prämien in Rechnung stellen zu dürfen.

Wie verändert eine Fangprämie das Verhalten der Kontrolleure?

Eine Prämie zu zahlen, ist erstmal nicht zu beanstanden. Aber wenn man Druck ausübt und eine derartig hohe Schwarzfahrerquote vorgibt, wie es die GSE tut, automatisiert man Verfehlungen und Übergriffe. Und das haben wir bei Privatkontrolleuren ja oft genug erlebt. Leute, die sowieso wenig verdienen, werden systematisch und massiv unter Stress gesetzt.

In einem Arbeitsvertrag, der der taz vorliegt, vereinbart die GSE einen Stundenlohn von 5,52 Euro. Immerhin Tarif, argumentiert die Firma.

Wohl wahr, aber das ist der Brandenburger Tariflohn. Der Berliner Tarifvertrag schreibt vor, dass der Lohn nach zwölf Monaten bei 6,05 Euro liegen muss.

Dürfen auch die GSE-Mitarbeiter, die in Berlin kontrollieren, nach Ost-Tarif bezahlt werden?

Hauptsitz der Firma ist ja Potsdam. Wichtig ist aber, von welcher Geschäftsstelle aus der Einsatz gesteuert wird. Wenn Mitarbeiter des GSE-Ablegers in Berlin nicht nach hiesigem Tarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe bezahlt werden, kann das letztlich Sozialversicherungsbetrug sein. Damit Ver.di aber Klagen prüfen kann, müssten sich GSE-Mitarbeiter bei uns melden.

Wie erwischt ein Kontrolleur möglichst viele Schwarzfahrer?

Die Kontrolleure wissen um die profitablen Tricks. Jeder kennt die goldenen Linien, und die werden systematisch stärker belegt. Beliebt sind zum Beispiel Kreuzberger U-Bahn-Linien bis Herrmannplatz, da fahren viele Jugendliche und Arbeitslose. Oder denken Sie an Clubs und Diskotheken an Warschauer Straße oder Schlesischem Tor, das ist morgens die Volltreffergegend. Die Jugendlichen kommen zugedröhnt von der Party, ans Ticket denken die als Letztes. Auch Linien, die an Hotels vorbeiführen, bringen Schwarzfahrer: Am Ku’damm bewegen sich eben viele Touristen.

Dabei hat die BVG gerade für Berlin-Besucher eine Sonderregel eingeführt. Wer vergessen hat zu stempeln, darf das nachholen. Reicht das nicht?

Die Bestimmung liest sich auf dem Papier gut. Aber der Druck verhindert, dass sie umgesetzt wird. Welcher Tourist riskiert schon eine Beschwerde bei einer deutschen Behörde? Die japanische Reisegruppe zahlt lieber sofort, um Ärger zu vermeiden.

Bei den Kontrolleuren gibt es ein Zwei-Klassen-System. Wie muss man sich die Arbeit der bei der BVG angestellten Kontrolleure vorstellen?

Die BVGer verdienen mehr als doppelt so viel wie Privatkontrolleure. Das ist aber gerechtfertigt. Es handelt sich meist um fahrdienstuntaugliche Leute, die der BVG ja jahrelang treu gedient haben.

INTERVIEW: ULRICH SCHULTE