Der Plattmacher-Kampf

Der Chefredakteur hofft noch: „Den Kollegen, die in der Depression verharren, kann ich sagen: Es ist noch Luft drin“

AUS BERLIN JOHANNES GERNERT

Der erste Brite, der den Berliner Verlag kaufen wollte, kam auf seiner Segeljacht um. Er hieß Robert Maxwell und der Grund für seinen Tod ist nicht so genau bekannt. Vielleicht war es ein Selbstmord. Er muss ziemlich bankrott gewesen sein.

Der zweite Brite, der gerade den Berliner Verlag kaufen will, heißt David Montgomery. Viele wünschen sich, dass er es gar nicht erst tut. Die Erfahrungen mit Maxwell seien schlimm genug gewesen, sagt Olaf Kreller. Er lacht sarkastisch und ein bisschen laut. Maxwell war vor allem für die Druckerei zuständig, in der Kreller Betriebsrat ist. „Kurz, aber drastisch“, nennt er das Intermezzo mit Maxwell. „Der hat damals richtig Knete rausgezogen.“ Kreller streicht sich über den zottligen Irokesenkamm am Hinterkopf. Am Kleiderständer hängt sein Army-Parka. Er ist vorhin erst zurück ins Büro im Lichtenberger Druckhaus am östlichen Rand Berlins gekommen. Am Morgen hat er noch ins Megafon gerufen, man wolle sich nicht von „Heuschrecken vernaschen“ lassen. Die Mitarbeiter des Berliner Verlags haben alle zusammen am Alexanderplatz demonstriert. Redakteure der Berliner Zeitung, des Berliner Kurier, vom Stadtmagazin Tip und auch ein paar Drucker. Gegen Montgomery und seine Finanzinvestoren.

Es wäre das erste Mal, dass eine deutsche Zeitung an eine Investorengruppe aus der Private-Equity-Branche geht und nicht an ein Verlagshaus. Private-Equity heißt: Geld leihen, eine Firma kaufen, profitabel machen, mit möglichst viel Gewinn wieder verkaufen. Beim Berliner Verlag glauben sie nicht, dass man das auch mit Zeitungen machen kann. Sie wehren sich und haben sich das Bild des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering geborgt: Heuschrecken. Tiere, die ein Feld suchen und es abgrasen. Die es verlassen, wenn sie satt sind. Die Blattmacher kämpfen hartnäckig um ihren Verlag. Vermutlich haben sie langsam genug von Wenden, Wechseln und Übernahmen. Von Ost nach West, von Verlag zu Verlag, von Reform zu Reform, von Chefredakteur zu Chefredakteur.

In der Konferenz der Berliner Zeitung bedankt sich der Chefredakteur Uwe Vorkötter gerade bei den Ressortleitern dafür, dass sie täglich eine Zeitung machen, noch dazu eine so ordentliche. Man sollte von Redakteuren eigentlich wenig anderes erwarten, aber in diesen Tagen ist es gar nicht selbstverständlich. Es gibt viel anderes zu tun. Protestieren etwa und Interviews geben. Jeden Tag kommen Journalisten vorbei, Fotografen machen Bilder von den Heuschreckenverbotsschildern am Eingang.

Sie haben sich bei der Berliner Zeitung nicht sofort gewehrt, schon gar nicht öffentlich. Der Chefredakteur wollte erst mit den Investoren reden. Sie haben aber für die Medienseite recherchiert, wer denn in diesem Finanzkonsortium sitzt und sind schnell auf David Montgomery gestoßen. Die Londoner Korrespondentin sollte den protestantischen Manager aus Nordirland porträtieren, der im Verbund mit anderen Investoren auch schon britische Zeitungen gekauft und wieder verkauft hatte. Sie hat einen Vormittag lang telefoniert. Anschließend rief sie beim Leiter des Medienressorts an: Wen sie auch frage, niemand sage etwas Positives über Montgomery. Gut, hat Ralph Kotsch beschlossen, dann ist das so. Als Überschrift schrieb er: „Mann mit schlechtem Ruf“. Der Text erschien direkt vor dem ersten Gespräch zwischen Montgomery und dem Chefredakteur, da ist so ein Titel nicht gerade eine freundliche Begrüßung. Aber Kotsch ist ein ruhiger Brandenburger, der 1990 zur Berliner Zeitung kam, er wollte nicht provozieren. „Irgendwas musste ich schon drüber schreiben“, sagt er. „Ich konnte ja nicht drüber schreiben: ein honoriger Mensch.“

Vorkötter hatte also eine gewisse Vorstellung, aber vor dem Treffen, sagt er, dachte er trotzdem noch: „Vielleicht überzeugt er mich ja.“ Er hat ihn nicht überzeugt. Er fand ihn so schlimm, dass er in der eigenen Zeitung gegen den Kaufinteressenten anschrieb. Beim Berliner Kurier, dem Boulevardblatt in den Stockwerken darüber, sind sie noch deutlicher geworden. „No Sir. Sie kriegen unsere Zeitung nicht (und wenn Sie sich auf den Kopf stellen).“ Darüber: Montgomerys auf den Kopf gestellter Kopf. Bester britischer Boulevardjournalismus sei das, sagt ein Kurier-Redakteur erfreut.

Der Kampf gegen den Verkauf begann. Die Politikchefin der Berliner Zeitung hat im Copy-Shop T-Shirts drucken lassen: „You are not welcome Mr. Montgomery.“ Die Fenster des Verlagshauses wurden mit Heuschreckenverbotsschildern tapeziert.

Und es war auch klar, worum es geht. Nicht nur um die Angst um den Job, vor allem um journalistische Qualität, darum, dass Montgomery die Qualität platt machen würde. Das „Produkt erhalten“, so formuliert es nicht nur Vorkötter, sondern fast jeder, den man fragt. Das besondere am „Produkt“ ist für Lokalredakteur Thomas Rogalla auch der „Projektcharakter“, die Tatsache, „dass sich hier jeden Tag Leute aus Ost und West zusammenraufen“. Die ehemalige DDR-Zeitung, mit ihren Wurzeln in Ost-Berlin, hat ein Drittel ihrer Leser mittlerweile im Westen der Stadt. Bei den Investoren hat Rogalla kein gutes Gefühl: „Man weiß einfach nicht, was diese Figuren vorhaben.“

Eine Zeitung ist keine Marmeladenfabrik, so liest man in diesen Tagen überall. Eine Zeitung braucht keinen Fabrikdirektor, sondern einen Verleger. Und das, obwohl die Verleger den Berliner Verlag in ziemlich unübersichtliche Zustände manövriert haben. Er gehört formal Gruner + Jahr, ist aber schon seit dreieinhalb Jahren an den Holtzbrinck-Konzern verkauft worden. Weil Holtzbrinck aber in Berlin schon den Tagesspiegel herausgibt und damit eine zu große Marktmacht ausüben würde, hat das Kartellamt die Übernahme verboten. Während Holtzbrinck versuchte, das Geschäft doch irgendwie durchzubringen, schwebte der Berliner Verlag dreieinhalb Jahre lang zwischen Gruner + Jahr und Holtzbrinck und gehörte in dieser Zeit so recht eigentlich niemandem. Das mochten die Redakteure irgendwie. Sie kamen auch damit klar, dass gespart wurde, und als das Haus sogar Gewinne erwirtschaftete, waren sie stolz.

Nur ist Holtzbrinck nun auf die Idee gekommen, den Berliner Verlag abzustoßen. Der Tagesspiegel nämlich macht nach wie vor ein Minus, den würde man wohl nicht so gut losbekommen.

Am Montag hat Michael Grabner, der Holtzbrinck-Vorstand, auf einer Betriebsversammlung verkündet, der Verkauf an Montgomery und Konsortium sei äußerst wahrscheinlich. Obwohl sich auch Verlage interessierten, verhandle man exklusiv.

Es gibt jetzt zwei Fraktionen im Haus, sagt Regine Sylvester, eine renommierte Redakteurin der Berliner Zeitung. Die einen sind kämpferischer und motivierter geworden. Die anderen glauben, die Sache ist wahrscheinlich gelaufen. Eigentlich sollte sie ein Interview vorbereiten. Aber sie hat jetzt den Kopf nicht frei.

In der Konferenz versucht Vorkötter, Financial-Times-farbenes Hemd und gestreifte Krawatte, zu motivieren: „Den Kollegen, die in der post-grabnerschen Depression verharren, kann ich sagen: Es ist noch Luft drin und Bewegung in der Geschichte.“

Vorkötter ist 2002 zur Berliner Zeitung gekommen. Vor ihm hatten die neuen Chefredakteure und Herausgeber immer große Namen gehabt. Der ambitionierte Erich Böhme vom Spiegel, der eine Zeitung von Weltruhm entwickeln wollte. Der umtriebige Michael Meier aus Wien, der Journalisten aus der ganzen Republik einkaufte und das Layout völlig veränderte. Der grüblerische Martin Süsskind von der Süddeutschen, der die Zeitung politisch positionieren wollte. Und dann Vorkötter aus Stuttgart, von der Stuttgarter Zeitung. Manche haben damals gezweifelt, ob dieser Provinzkötter eine ordentliche Hauptstadtzeitung machen kann. Obwohl er so eine Brille aufhat wie Thomas D. von den Fantastischen Vier, wirkte er neben Giovanni di Lorenzo, dem schicken Star-Chef des Tagesspiegel, etwas blass. Aber Vorkötter hat sich nach und nach Ansehen erarbeitet. Seit er gegen Montgomery geschrieben hat, ist er so eine Art Held der Stunde geworden. Ständig rufen Leute aus der Branche an und gratulieren. „Ganz unerhört bewunderungswert mutig“, nennt Regine Sylvester sein Engagement.

Seit Vorkötters Amtsantritt ist die Berliner Zeitung bescheidener geworden. Nicht unbedingt schlechter. Die Redaktion läuft gut. Und dann kommt plötzlich der Brite mit dem schlechten Ruf und behauptet, die Rendite verdoppeln zu können. Als hätte man vorher die ganze Zeit versucht, möglichst viel Minus zu machen. Es glaubt ihm keiner, dass er den Verlag nicht zerschlagen will und Einzelteile verkaufen, dass er ohne Entlassungen auskommt. Er scheint Versprechen selten zu halten. „Alle haben hier Geld verbrannt“, sagt Medienredakteur Kotsch. „Nicht einem hat es genutzt. Nicht einem. Alle Auflagen sind gesunken.“

Vorkötter sagt, es werde „viel geredet und telefoniert“ hinter den Kulissen. Er sieht zwei Möglichkeiten, um den Verkauf an Montgomery zu verhindern. Entweder lenkt Holtzbrinck ein. Schließlich seien das auch Verleger, die läsen ja auch, was in der Zeitung steht. Oder einer der Investoren steigt aus. 3i beispielsweise, ein Konsortiumsmitglied, sei seiner Ansicht nach „überhaupt nicht auf Krawall aus“. Und den Krawall haben sie ja jetzt gemacht.