Deutschland, ein Strickmuster

Nach der Wende gegründet, ist die Berliner Fotoagentur Ostkreuz mittlerweile so alt wie die wiedervereinigte Bundesrepublik. Mit der Ausstellung „Neueinstellung“ im Berliner Pfefferberg lenkt sie den Blick auf ganz unterschiedliche „Deutschlandbilder“

VON BRIGITTE WERNEBURG

„Du bist Deutschland“ lautet die neueste Zumutung, mit der sich unbescholtene Bürger dieser Tage konfrontiert sehen. Ja, schlimmer noch: „Du bist das Wunder von Deutschland“, werden sie rücklings angegangen, ohne erkennen zu können, wer sie da so dumm und nassforsch anmacht. Der Zeitpunkt, „Deutschlandbilder“ vorzustellen, scheint in dieser Situation nicht glücklich gewählt. Doch die auf dem Gelände des Berliner Pfefferbergs, einem 1841 erbauten Brauereikomplex, ausgestellten „17 fotografischen Positionen“ erweisen sich als das nötige Antidot.

Im Nu fasziniert das Bild eines Schäferhunds, der stolz auf einem Trümmerberg aus Beton thront. Er ist erkennbar nicht der berühmt-berüchtigte „Du bist Deutschland“-Schäferhund, wie sich das Klischee des Deutschen Schäferhunds jetzt benennen lässt. Gerade weil er, von ganz unten aufgenommen, wie es einem Heros gebührt, in einen strahlend blauen Himmel gehoben wurde. Fotografisch äußerst raffiniert bedient sich Heinrich Völkel des Klischees, um es im Porträt des Rettungshundes „Trümmer“ aufzubrechen.

Heinrich Völkel, 1974 in Moskau geboren, ist Mitglied der Agentur Ostkreuz, die sieben bekannte DDR-Fotografen, dem legendären Vorbild Magnum folgend, 1990 in Berlin gründeten. Inzwischen so alt wie das wiedervereinigte Deutschland, ist Ostkreuz inzwischen eine weithin renommierte Fotoagentur. Mittlerweile gehören ihr 17 Fotografen aus Ost und West an, deren unterschiedliche Herkunft in ihren Bildern nicht auszumachen ist.

Die Ostkreuz-Fotografen verstehen sich als Autoren, und so haben sie sich vor zwei Jahren wieder einmal zusammengesetzt, um ein Ausstellungskonzept zu erarbeiten, das diesem Aspekt ihrer Arbeit Rechnung trägt. Wie schon die letzte Ausstellung „Augenblicke Augenzeugen – Bilder aus Berlin“ 1998, entstand auch die jetzige Schau „Neueinstellung – Deutschlandbilder“ in Kooperation mit dem Goethe-Institut, das sie nach ihrer Berliner Premiere weltweit auf Reisen schicken wird.

„Trümmer“ ist Teil einer Serie, deren einzelne Porträts sich nicht ohne weiteres erklären. Eine merkwürdige kleine Maschine, ein grüner Fußbodenbelag mit weißen Markierungen, ein Fußball und drei junge Männer vor einem niedrigen Tor lassen sich schließlich als die Weltmeister im Roboterfußball identifizieren. „Die Besten Deutschlands“, der Titel der Serie, liefert den Hinweis.

Mehr als den Titel und den Namen des Fotografen oder der Fotografin geben die spärlichen Angaben nicht her. Die Ausstellung setzt ganz auf die sechs bis neun Bilder der jeweiligen Reihe, in der die 17 Fotografen ihre Sicht von Deutschland vortragen – auf einer schlichten, im Zickzack durch die große Halle der ehemaligen Abfüllanlage geführten Stellwand.

Und wirklich, formal höchst individuell, gelingt es allen Beteiligten, auf der kurzen Strecke eine durchaus komplexe Situation zu entwickeln. Das aufgeräumte Deutschland, das Wolfgang Bellwinkel im felsragenden Märchenschloss, im Fertighaus-Park und in der sommerlichen Bergwiese entdeckt, wirkt bei ihm eben nicht nur peinlich, sondern auch entspannt und unbesorgt – ein Eindruck, dem Maurice Weiss’ Serie „Unerwünscht – Abschiebegewahrsam Berlin-Köpenick“ entschieden widerspricht: Kein Zaun, gleich eine mächtige Wand aus schweren Holzbohlen schirmt die Insassen von der Außenwelt ab. Nur ein Spalt im Holz ermöglicht doch den unerwünschten Kontakt nach draußen.

Ob Werner Mahler die „Temporäre Architektur“ auf deutschen Festwiesen beobachtet, ob Jordis Antonia Schlösser in „Halle-Neustadt“ dem seltsam elenden Leben in einer Schrumpfstadt hinterherfotografiert oder ob Dawin Meckel „Swakopmund, eine Stadt in Namibia“, besucht, um Deutschland in seinen kolonialen Hinterlassenschaften zu entdecken – sämtliche „Neueinstellungen“ präsentieren sich als eine Art lakonische Kurzgeschichte mit einer deutlich fokussierten Idee, die in den Fotografien gleichwohl etwas Schwebendes, Ungefähres bekommt, fern einem definierten Deutschlandbild.

Wer hätte schon mit den deutschen Pappmachébergen gerechnet, in denen sich buntgekleidete Teenager „Am Sonntag“ vergnügen, wie Annette Hauschild es dokumentiert? Wer mit „Haßloch“, das Nicole Angstenbergers Interesse erregte? Das ist jener Ort, den Konsumforscher für so durchschnittlich deutsch halten, dass das Kaufverhalten seiner Einwohner bestimmt, welche neuen Produkte hierzulande überhaupt eine Marktchance haben? Wahrscheinlich kommt hier die „Du bist Deutschland“-Kampagne gut an; hier wohl zu Recht. Doch das besagt gar nichts, das zeigen die Bildsequenzen sämtlicher 17 Ostkreuzfotografen. Man kann ihnen dafür gar nicht dankbar genug sein.

Bis 12. November, Pfefferberg Haus 2, Berlin-Prenzlauer Berg, Katalog (Edition Braus) 35 Euro