„Das würde uns zerstören“

Angela Merkel kämpft an allen Fronten: gegen den Frust der Basis. Gegen den Frust über den Abschied von liberaler Politik. Und gegen die Analyse des Union-Wahlkampfs. Für die sei es jetzt noch zu früh

AUS AUGSBURG MAX HÄGLER

Im roten Blazer war Angela Merkel nach Augsburg gekommen. Keine gute Wahl an diesem Sonntag beim Deutschlandtag der Jungen Union (JU). „Ich bitte Sie, Frau Merkel, werden Sie nicht die erste Kanzlerin einer sozialdemokratischen Regierung!“, beschwor ein bayerischer JUler die Kanzlerin in spe.

Merkel war eigentlich gekommen, um die schwarzen Reihen ruhig zu stellen, und musste sich doch der Debatte um Inhalte und Aufmachung des schwarzen Wahlkampfes und den Fortgang der Berliner Koalitionsverhandlungen stellen. Für die JU ist der Preis, der dort gerade in den Verhandlungen gezahlt wird, zu groß. „Frau Merkel, Bundeskanzler Schröder hat gesagt, wir können ihn an den Arbeitslosenzahlen messen. Woran können wir Sie messen?“, wurde die CDU-Chefin coram publico vom Nachwuchs zur Rede gestellt.

Mit „Licht, aber auch Schatten“ versuchte Merkel die Gemüter zu beruhigen. Eine Diskussion über das Wahldebakel halte auch sie für nötig, aber diese dürfe „kein Schnellschuss“ sein. Eine Debatte zum jetzigen Zeitpunkt wäre hingegen fatal: „Das würde unsere Volkspartei zerstören“, warnte Merkel.

Ihr Ziel sei eine handlungsfähige, erfolgreiche Republik, die von einer großen Koalition nach vorn gebracht werde „mit Maßnahmen, die kein Geld kosten“. So müssten Subventionen wie die Pendlerpauschale abgeschafft werden – um einerseits zu sparen und um gleichzeitig das Steuersystem zu vereinfachen. Der Arbeitsmarkt sei jedoch das drängendste Problem, „daran wird in den nächsten Jahren jeder Bundeskanzler gemessen“. Dort stehe sie für die Einführung eines Kombilohnmodells, die Schaffung betrieblicher Bündnisse und Einschränkungen im Kündigungsschutz. Forderungen, die nicht mehr deckungsgleich sind mit der sozialen Marktwirtschaft à la Ludwig Erhard.

Doch der Wink mit der neoliberalen Fahne beruhigte die JU nicht. Nachdem Merkel und ihr Kompetenzteam in den letzten Wochen einen Programmpunkt nach dem anderen den SPD-Unterhändlern zum Fraß vorgeworfen haben, traut man ihr weder Reformwillen noch wirtschaftsliberale Haltung mehr zu. „Die bloße Rückkehr zur Sozialromantik darf es nicht geben“, wurde sie in der Diskussion beschworen. Auch die Union müsse die roten Linien kundtun, an denen sich die Verhandlungen bewegten. Harte Worte, die die Parteichefin selten zum Lachen brachten, doch aus der Ruhe ließ sie sich kaum bringen. „Harte Verhandlungen finden meist hinter verschlossen Türen statt, da brauchen Sie in der Tat ein Stück Vertrauen“, versuchte Merkel das Berliner Geschehen zu erklären.

Doch das wurde ihr nur zögerlich entgegengebracht. Wiederholt bekam sie einen Namen vorgehalten, der Land und Partei in den Augen des Parteinachwuchses am deutlichsten nach vorn bringen würde: „Frau Merkel, wir hatten am Samstag Friedrich Merz hier zu Gast. Er hat wie gewohnt glasklar gesprochen und aufgezeigt, was Platz finden muss im Koalitionsvertrag.“ So froh waren die Delegierten über den schneidigen Wirtschaftsreformer, dass sie der Partei in einem einstimmigen Antrag seine Wahl zum Fraktionschef nahe legten. Und auch am Sonntag während der Rede der CDU-Chefin gab’s für Merz noch Standing Ovations. Merkel dagegen hatte nur ein großmütiges Lächeln für das Reformvorbild der jungen Revoluzzer übrig: „Es wäre schön, wenn man alles immer so glasklar bekommen könnte.“ Und weiter maliziös in die Hundertschaften blickend, erinnerte sie, wer trotz aller Diskussionen das Sagen hat: „Ich muss darauf hinweisen, dass Merz nicht wieder angetreten ist zum stellvertretenden Partei- und Fraktionsvorsitz.“ Dennoch teile sie natürlich manche Ansichten des CDU-Politikers.

Der hatte am Samstag seinerseits den Unionswahlkampf kritisiert: „Wir waren in der Defensive“, erklärte der viel umjubelten Star der JU: „Arbeitslosigkeit, Schulden und leere Rentenkassen“ habe die Union viel zu zögerlich angesprochen und nicht klar gemacht, „warum wir eigentlich schon 2005 wählen“. Für die Koalitionsverhandlungen fordert Merz „dezentrale Arbeitsmarktverfassung“, die betriebliche Bündnisse auch gegen den Willen von Gewerkschaften ermöglich. Fehle dieser Punkt am Ende, dann sei der Vertrag „das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben ist“.

Edmund Stoiber war natürlich auch nach Augsburg geladen. JU-Chef Philipp Mißfelder hatte ihn vor dem Deutschlandtag als Sündenbock ausgemacht: „Ich bin gespannt, ob ein Wirtschaftsminister Stoiber den ordnungspolitischen Marktwirtschaftsprinzipien Ludwig Erhards verpflichtet bleibt oder ob er in erster Linie Industriepolitik nach bayerischer Art machen will.“ Eigentlich war es ausgemachte Sache beim Unionsnachwuchs, dass der CSU-Chef eine Watschn bekommen sollte. Doch Stoiber ging in die Offensive und ließ seine bayerischen Reihen, der zweitgrößte JU-Verband der Republik, antreten, die die Pläne abschwächten. Aber vor allem diskutierte der Oberbayer mit, räumte ungewohnt offen Fehler ein und kam so mit einem blauen Auge davon. Über den Wahlkampf schwieg auch er nicht: „Wir müssen uns fragen, ob wir nicht die Prioritäten falsch gesetzt haben, um an die Menschen heranzukommen.“