Keine Entblößung

Martin Kippenberger: Der Künstler als rockender Performer auf der 2. KunstFilmBiennale in Köln

Jägermeister, Rock ’n’ Roll und einfach machen, nicht nur glotzen. Die ersten Filmminuten sind ein einziges leidenschaftliches Plädoyer für „Verschwende deine Jugend“. Acht Jahre nachdem Martin Kippenberger 44-jährig in Wien starb, wurde auf der KunstFilmBiennale in Köln erstmals Jörg Kobels „Kippenberger“-Film vorgestellt. Das 75-minütige Porträt begann mit einem Flashback auf das Berlin der Punkrockära. Filmbilder von 1979 führten in Kippenbergers Club SO 36 – ein verrauchter Keller, auf der Bühne ein junger Mann im grauen Anzug, der ekstatisch die Hüften schwingt. „Kippenberger ist ein genialer Rock ’n’ Roller.“ Selbst dem bemüht nüchternen Kommentar des Journalisten ist zu entnehmen – der Künstler als rockender Performer, dem die Disco als Plattform diente, das war in Deutschland neu, aufregend, rebellisch.

Wie porträtiert man den wortgewaltigen Selbstdarsteller Kippenberger, der als vielleicht „letzter überdimensionaler und hypostasierter Künstlerdinosaurier“ galt, wie Diedrich Diedrichsen schrieb, und der 1997 für immer von der Bühne verschwand? Filmemacher Kobel, Jahrgang 1966 und damit eher „Generation Golf“, recherchierte in den Archiven der Fernsehsender. Frühe Filmfeatures bereicherte er durch Interviews aus dem engen Kreis der Kippenberger-Familie. Entstanden ist ein sehr persönliches Porträt, das alle wichtigen Stationen des Künstlers ausbreitet. Man könnte dem Film mangelnde Distanz attestieren, wenn die Sammler-Familie Grässlin Zoten frei nach der Schnauze des Künstlers zum Besten gibt oder die „So 36“-Mitbegründerin und heute erfolgreiche Galeristin Gisela Capitain emotional ergriffen Kippenberger als privat scheu beschreibt. Doch diese subjektiven Eindrücke sind die großen Momente des Films.

Kippenberger selbst hat sich weit schonungsloser porträtiert, mit schlappender Unterhose, tief gebeugt 1988. Kobels Film ist diese nackte Entblößung nicht. Kritik, und zu Lebzeiten des Künstlers gab es viel davon, ist kaum zu hören.

Die KunstFilmBiennale, die Initiator Heinz Peter Schwerfel an mehren Orten stattfinden lässt, will viel bieten. Neben rund 60 Beiträgen des deutschen Filmnachwuchses, die um den mit 25.000 Euro dotierten Preis für den experimentellen Film konkurrieren, schickt sie im Internationalen Wettbewerb bekannte Künstler wie Matthew Barney als auch Filmemacher wie Jean-Maria Straub und Danièle Huilliet ins Rennen und scheitert dabei an den eigenen technischen Möglichkeiten.

Kippenbergers Aufruf zum genialen Dilettantismus tröstet kaum hinweg, dass David Wittenbergs Auftragswerk für Arte über Harald Szeemann „Arbeit an der Utopie“ im Kino des Museums nicht abgespielt werden konnte.

Am Ende war es nicht Sarah Morris’ aufwendig produzierte Dokumentation über die Glitzerwelt der Hollywood-Reichen noch Tracey Enims soziales Porträt über englisches Teenagerelend, die bislang im Wettbewerb überzeugten. Es war Sam Taylor-Woods vierminütiges Standbild auf einen Stepptänzer, das mit nur minimalen Effekten das Versprechen des Kunstfilms einlöste, wohltuender Kontrast zum gegenwärtigen Mainstream-Kino zu sein. HORTENSE PISANO