Rotlicht in Zeiten der Weltmeisterschaft

Während der Fußball-Weltmeisterschaft erwarten Experten einen sprunghaften Anstieg der illegalen Prostitution – allein in Hamburg rechnet die Gewerkschaft Ver.di mit bis zu 3.000 zusätzlichen Prostituierten. Der Hamburger Senat allerdings will sich mit dem Thema erst gar nicht beschäftigen

Von Marco Carini

Hamburg im WM-Taumel. Knapp zweihundertdreißig Tage vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft sieht sich die Hansestadt nach einer gelungenen Länderspiel-Generalprobe gegen China vor zwei Wochen für das sportliche Mega-Event „gut gerüstet“. Die Organisation stehe, der zusätzliche Fremdenverkehr würde Hotels und Restaurants boomen lassen, zusätzliche Arbeitsplätze zumindest für den Austragungszeitraum würden winken (siehe Bericht unten).

Doch die körperlichen Bedürfnisse der erwarteten 380.000 meist männlichen Fans des runden Leders lassen sich allein mit Schlafgelegenheiten, Currywurst und Bier nicht befriedigen. So rechnet etwa der Deutsche Städtetag unter Berufung auf Erkenntnisse des Bundeskriminalamtes damit, dass bis zu 40.000 Sexarbeiterinnen vor allem aus Osteuropa zu den Austragungsorten kommen werden, um hier den schnellen Euro zu verdienen.

Mit rund 2.000 bis 3.000 zusätzlichen Prostituierten rechnet Emilija Mitrovic, Prostitutions-Expertin der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di in Hamburg, allein in der Hansestadt während des Sportevents. Der Landesfrauenrat Hamburg warnt sogar davor, dass zehntausende von Prostituierten voraussichtlich nach Hamburg geschleust werden, damit auch nach dem Abpfiff der Euro rollt.

Da „fast alle Frauen nicht freiwillig arbeiten“ würden, sei eine „Ausweitung des Menschenhandels und der Zwangsprostitution“, die mit Gewalt und Erpressung gegenüber den Frauen verbunden sei, eine logische Konsequenz. „Diesen kriminellen Praktiken darf in unserer Stadt kein Raum gegeben werden“, fordert der Frauenrat. Und stößt damit bei den Politikern auf taube Ohren.

Auf eine Kleine Anfrage von der Grünen Bürgerschaftsabgeordneten Verena Lappe zum Thema antwortete der Senat jetzt mit der Präsentation seines geballten Unwissens. Da „konkrete Erkenntnisse“ über eine gesteigerte Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen während der WM den zuständigen Behörden nicht vorlägen, hätte sich der Senat damit konsequenterweise „nicht befasst“. Lediglich ein Fan-Guide, in dem „die Themen AIDS-Prävention und Prostitution“ aufgegriffen werden sollen, sei in Planung.

Auch die Hamburger Polizei redet das Thema klein. Sie gehe „nicht davon aus, dass es in Zusammenhang mit der WM 2006 zu einer signifikanten Zunahme der illegalen Prostitution kommen wird“, lautet der Kommentar der Polizeipressestelle gegenüber der taz. Weitere Angaben dazu wolle man nicht machen.

„Nicht nachvollziehbar“ sind solche Antworten für Verena Lappe. Es sei Fakt „dass jede Olympiade und jede Fußball-WM auch Prostitution“ anziehe. Und während der Senat in seiner Antwort durchblicken lasse, sich dem Thema zumindest mit Gesundheitsaufklärung zu nähern, wolle er sich „mit dem Thema Zwangsprostitution anscheinend gar nicht befassen“.

Mit ihrer Ignoranz steht die Rotlicht-Hochburg Hamburg ziemlich allein da. Andere Städte haben die Herausforderungen, die auf sie zukommen, längst erkannt. So sieht etwa das Ordnungsamt der Stadt Dortmund die Gefahr, dass der Straßenstrichwährend der WM „aus allen Nähten“ platze. „Wir müssen reagieren, sonst herrscht Sodom und Gomorrha“, lässt sich ein Behörden-Mitarbeiter zitieren.

Um dem Ansturm der Freier und Huren gewappnet zu sein, überlegt die Dortmunder Verwaltung in der Nähe des Straßenstrichs so genannte Verrrichtungsboxen für den ungestörten Bezahl-Sex aufzustellen. Das aus Utrecht stammende und von Köln übernommene Modell kanalisiert nicht nur die Verrichtung der sexuellen Notdurft, es bietet den Prostituierten durch Alarmklingeln und Fluchttüren auch Schutz vor möglichen Übergriffen ihrer Kunden.

Während auch in Berlin die WM-Planer über die Aufstellung der Strich-Container nachdenken, hat sich der Hamburger Senat mit „derartigen Planungen“ bislang nicht befasst. Da der Senat zugleich die Hamburger Sperrgebietsverordnungen, die den Straßenstrich verbieten, auch während der WM nicht lockern will, befürchtet Emilija Mitrovic „eine Strategie der Vertreibung“ als einziges Polizeikonzept gegen den zu erwartenden Prostitutions-Boom.

Mit Bußgeldern und Platzverweisen könnten die Frauen „in dunkle Hinterstraßen-Bereiche abgedrängt werden“, wo niemand mehr beobachtet, in welchen Wagen sie einsteigen. Sie wären damit gewalttätigen Übergriffen von Freiern, „die in den vergangenen Jahren eindeutig zugenommen haben, schutzlos ausgeliefert“.

Auf gedämpftes Interesse der Landesregierung stoßen auch zahlreiche Konzepte verschiedener Frauenorganisationen, die negativen Folgen des Prostitutions-Booms einzudämmen. So fordert der „Ratschlag Prostitution Hamburg“ die zeitweilige Aufstellung eines Beratungscontainers für Sexarbeiterinnen in der Nähe des Hauptbahnhofs. Hier sollen den angekarrten Prostituierten muttersprachliche Hinweise zur rechtlichen Situation und zur AIDS-Prävention gegeben werden.

Ein anderes HIV-Auflärungsprojekt plant das Centrum für Prostitutionsstudien „Context“. Potentielle Freier sollen vor der AOL-Arena und auf der zentralen Video-Übertragungsfläche auf dem Reeperbahn-nahen Heiligengeistfeld gezielt vor den Gefahren des ungeschützten Verkehrs gewarnt werden.

Eine weitere Kampagne konzipiert der bundesweit tätige Verein „Frauenrecht ist Menschenrecht“. Er will die WM-Freier für die Frage sensibilisieren, ob sie möglicherweise Kunden einer Zwangsprostituierten geworden sind und sie ermutigen, gegebenenfalls die Polizei zu informieren. All diese Projekte seien ihm bekannt, räumt der Hamburger Senat ein. Doch hat er bislang keinen einzigen Euro für die Förderung dieser Aktivitäten bereitgestellt.

Der Landesfrauenrat, der über seine Mitgliedsorganisationen 300.000 Personen vertritt, forderte vergangene Woche die vier für Inneres, Justiz, Sport und Soziales zuständigen Hamburger SenatorInnen auf, für „Maßnahmen einzutreten, die zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Zwangsprostitution und Menschenhandel führen.“ Eine Antwort auf sein Ansinnen hat der Verein bis heute nicht erhalten.