Kultfigur pfeift auf Berlusconi

Wenn Adriano Celentano heute Abend im Staatsfernsehen RAI mit der zweiten Folge seiner letzte Woche angelaufenen Show auf Sendung geht, dann ist eigentlich nur Varieté angesagt. Und doch werden alle italienischen Politiker, die Kommentatoren der großen Tageszeitungen und die Intellektuellen des Landes gebannt hinschauen, ganz als ginge da ein politisches Großereignis über die Bühne.

Denn beim Auftakt am letzten Donnerstag hatte der Altrocker – im Januar wird er 68 – gezeigt, dass er nicht nur musikalisch immer noch in Hochform ist. Zur Übernahme der Show hatte er sich nur unter der Bedingung bereit erklärt, dass er absolute Handlungsfreiheit erhalte – und die nutzte er weidlich: zu einem kräftigen Tritt gegen das Schienbein Silvio Berlusconis. Schließlich heißt die Show „Rockpolitik“, und da tröstete es Berlusconi kaum, dass Celentano seinen Gassenhauer „Azzurro“ trällerte, auch wenn die „Azurblauen“ Berlusconis Parteigänger von der Forza Italia sind.

Schon die Tatsache, dass Celentano traditionell als unberechenbar gilt, hatte den RAI-Senderchefs im Vorfeld den Schweiß auf die Stirn getrieben. Dabei ist der Rock ’n’ Roller eigentlich kein Linker. Furore machte er zum Beispiel 1989, als er in einer TV-Show zu einer Philippika gegen die Liberalisierung der Abtreibung anhob.

Diesmal aber hatte er ein anderes Thema: die Meinungsfreiheit in Italien. Auf dem Großbildschirm lief die von der Organisation Freedom House erstellte weltweite Länderrangliste der Pressefreiheit ab. Italien? Tauchte erst bei Platz 77 auf, eingestuft als bloß „partiell frei“, und Celentano bemerkte bissig: „Aha, da sind wir also, zwischen Bulgarien und der Mongolei.“ Gleich darauf gab es die Videoaufzeichnung der Berlusconi-Pressekonferenz von 2002, in der der Premier den dann auch erfolgten Rausschmiss dreier seiner Kritiker aus der RAI gefordert hatte. Celentano hatte einen der drei, den prominenten Journalisten Michele Santoro, auch noch ins Studio eingeladen.

„Linkspopulismus“, geiferten daraufhin die Politiker der Rechten genauso wie der Wellenchef von RAI 1, der sich für die Dauer der Sendung „selbst suspendiert“ hatte, da ihm jeder Zensureingriff versagt worden war. Aber Italiens Rechte hat bloß die Wahl zwischen Pest und Cholera, zwischen Laufenlassen und Einstellung des Programms. Schließlich ist Celentano kein x-beliebiger Journalist, sondern eine Kultfigur.

Oppositionsführer Romano Prodi dagegen sagte, Celentano habe „ein schönes Schauspiel der Freiheit“ aufgeführt. Und ein Politiker des Prodi-Lagers trug Celentano gleich die Kandidatur zum Bürgermeister von Mailand an. MICHAEL BRAUN