Grippe, Geheimdienst und Generika

Expertentreffen in Ottawa fordert Frühwarnsystem und Einlenken der Pharmakonzerne, endet aber ergebnislos

TORONTO taz ■ Ein Unglück kommt selten allein, inzwischen sind es sogar drei. Trotz eines zweitägigen Treffens im kanadischen Ottawa konnten sich Gesundheitsminister und Experten aus 30 Ländern bis Dienstagabend nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die Vogelgrippe einigen.

Neben fehlender Geschlossenheit und weltweit neuen Infizierungen durch das Virus H5N1 sorgte in Kanadas Hauptstadt nun auch noch ein Geheimdienstbericht für Unruhe: Das Terrornetzwerk al-Qaida könnte versuchen, das Grippevirus einzusetzen, befürchtet der kanadische Nachrichtendienst. „Ussama Bin Laden hält biologische Waffen für legitim“, heißt es in dem in der National Post zitierten Papier. Für bedrohlicher halten Mediziner dagegen die derzeit unzureichende Versorgung mit Impfstoffen.

Die Produktion eines speziell für Menschen geeigneten Wirkstoffs ist erst nach genauer Identifizierung der vielen miteinander verwandten Virenarten möglich. Tamiflu ist das derzeit vermutlich wirksamste Mittel gegen die Seuche. Doch nur der Patentinhaber, die Schweizer Arzneimittelfirma Roche, ist berechtigt, Lizenzen zur Herstellung des Medikaments zu vergeben.

Im Falle einer Pandemie, dem weltweiten Ausbruch der Krankheit, könnten viele Staaten ihre Vorräte an Tamiflu für sich behalten wollen. Zahlreiche Delegierte in Ottawa forderten von den Industrienationen, zehn Prozent ihrer Präparate Ländern in Asien und Afrika zur Verfügung zu stellen. Dieser Bitte wurde nicht entsprochen. Ein Vorrat an Impfstoffen soll bei der Weltgesundheitsorganisation WHO angelegt werden.

Auch auf die Herstellung von Generika, wirkstoffgleichen Medikamenten, die dem bereits geläufigen Präparat nachgeahmt werden, konnte man sich nicht einigen. Der kanadische Gesundheitsminister Ujjal Dosanjh (Liberale) drohte immerhin mit einer Lockerung des Patentrechts, sollten Pharmakonzerne nicht ausreichend kooperieren.

Kanadas Premierminister Paul Martin (Liberale) warnte nach der zweitägigen Konferenz aber vor einer unbegründeten Massenpanik. Sein Land werde die Herstellung von Impfstoffen unterstützen, erklärte er vage. Neben Jacques Diouf von der UN-Welternährungsorganisation und Lee Jong Wook, dem WHO-Generaldirektor, nahmen David Nabarro, UN-Koordinator für die Vogelgrippe, US-Gesundheitsminister Mike Leavitt sowie Vertreter der Europäischen Union (EU) und der Vereinigung südostasiatischer Staaten (Asean) an dem Treffen teil.

Wissenschaftler befürchten, dass Zugvögel überall auf der Welt Geflügel anstecken und den für Menschen gefährlichen Erreger H5N1 übertragen könnten. Vor allem Afrika sei durch dorthin ziehende Schwärme gefährdet. Bisher sind Menschen nur durch Kontakt mit infizierten Tieren angesteckt worden, in Asien gab es in den letzten zwei Jahren 65 Todesopfer. Die meisten Wissenschaftler erwarten allerdings, dass sich das Virus im Laufe der Zeit so an Menschen anpasst, dass sich diese gegenseitig anstecken können.

HANNES HEINE