Die Opferzahlen im Irak steigen

An dem Tag, an dem das Pentagon die Zahl der seit Kriegsbeginn getöteten US-Soldaten mit 2.000 beziffert, kommen mindestens 30 Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte ums Leben. Doch die weitaus meisten Toten sind Zivilisten

AUS ERBIL INGA ROGG

Am Dienstag im Irak: An der saudi-arabischen Grenze im Südwestirak finden Grenzschützer die Leichen von acht Kollegen, die regelrecht hingerichtet worden waren. In einem Spital im westirakischen Ramadi werden die Leichen von drei irakischen Soldaten eingeliefert. In Bagdad wurden zwei Polizisten bei einem Überfall auf einen Gefangenentransport getötet, über Tote oder Verletzte unter den Gefangenen macht das Innenministerium keine Angaben. Ein Polizist und zwei Soldaten werden in einem Hinterhalt erschossen. Im nordirakischen Mossul fällt eine Polizistin einem Anschlag zum Opfer. Bei Bombenanschlägen im kurdischen Suleimanija werden neben zwei Selbstmordattentätern neun Sicherheitsleute getötet. Insgesamt haben an diesem Tag die irakischen Sicherheitskräfte mindestens 30 Tote zu verzeichnen.

Gleichzeitig gibt das Pentagon bekannt, dass im Irak seit Kriegsbeginn 2.000 amerikanische Soldaten gefallen sind. Dabei kamen allein in diesem Jahr 670 Soldaten bei Angriffen der Untergrundkämpfer um. Wie viele irakische Sicherheitskräfte im gleichen Zeitraum getötet wurden, lässt sich schwer sagen, da das Innen- wie das Verteidigungsministerium nur sporadisch Einblick in ihre Opferstatistiken geben. Laut der Website „Iraq Coalition Casulty Count“, die hervorragenden Überblick bietet, wurden seit Januar 2.165 irakische Polizisten und Soldaten getötet. Mehr als 1.500 Sicherheitskräfte fielen seit dem Antritt der Dschaafari-Regierung der Gewalt zum Opfer, während im gleichen Zeitraum 410 US-Soldaten getötet wurden.

Den höchsten Tribut fordert die Gewalt unter der irakischen Zivilbevölkerung. Gemäß „Casulty“ fielen Anschlägen und Morden im letzten halben Jahr 4.075 Iraker zum Opfer. Nach der Zählung der aus der Antikriegsbewegung hervorgegangene Initiative „Iraq Body Count“ wurden seit dem offiziellen Kriegsende im Mai 2003 mindestens 19.340 Iraker getötet. Rund zehn Prozent der Opfer seien Kinder, wie der siebenjährige Junge, der am Dienstag durch eine am Straßenrand versteckte Bombe getötet wurde, die eine US-Militärpatrouille treffen sollte.

Seit Beginn des Jahres ist nicht nur ein Anstieg der Opferzahlen zu beobachten, sondern auch eine Veränderung der Kriegsführung. Zweidrittel der seit Mai getöteten US-Soldaten fiel Bombenanschlägen zum Opfer. Unter den Irakern ist nach Monaten der Anschläge die Furcht vor den Attentätern so groß, dass im August schon das Gerücht reichte, um unter schiitischen Wallfahrern eine Panik auszulösen, die rund 1.000 Tote forderte. Von Kurdistan abgesehen, das die ehemaligen Peschmerga-Kämpfer einigermaßen erfolgreich gegen das Einsickern von Dschihad-Kämpfern abschotten konnten, leben die Iraker im Belagerungszustand.

Dabei gestehen amerikanische Kommandeure ein, dass es den Untergrundkämpfern gelungen ist, mit der technischen Aufrüstung standzuhalten. Waren die Bomben anfangs eher das Werk von Bastlern, so weisen sie heute teils hohes technisches Können auf. So kommen inzwischen größere Bomben zum Einsatz, die aus Granaten und TNT zusammengesetzt sind. Britische wie amerikanische Offiziere haben dabei die Verwendung von hoch explosivem Sprengstoff aus iranischen Beständen beobachtet, der von mehrfach höherer Sprengkraft ist als das TNT der früheren irakischen Armee. Die neue Bombengeneration kann selbst einen Bradley-Panzer durchschlagen. Die irakischen Sicherheitskräfte sind mit ihrer leichten Ausrüstung schier machtlos. Die Autobomber und Selbstmordattentäter zielen indes nicht nur auf eine hohe Opferzahl, sondern auch auf eine möglichst große Öffentlichkeit, wie die Anschläge vor den Hotels in Bagdads Innenstadt am Montag zeigten.

Dabei lenkt der Terror leicht von der steigenden Zahl ethnisch oder politisch motivierter Morde im Zweistromland ab. Nach Angaben eines hochrangigen Sicherheitsbeamten wurden allein in Bagdad im September 185 Personen Opfer politischer Gewalt. Dabei trifft es ehemalige Baathisten ebenso wie Vertreter der neuen politischen Klasse. Da sich Politik im Irak von heute vor allem in der Zugehörigkeit zu der einen oder anderen ethnischen Gemeinschaft definiert, hat die Gewalt zu einer schleichenden Entflechtung von Wohngebieten geführt. Arabische Schiiten trauen sich in Bagdad nicht mehr in die sunnitischen Quartiere und umgekehrt, während im Norden Sunniten und Kurden voreinander flüchten. Dafür hat George W. Bush seine Soldaten aber kaum in den Irak entsandt.