Heldin wider Willen

„Sie sollen doch einfach nur die Wahrheit zeigen“: Die polnische Arbeiterin Anna Walentynowicz wehrt sich gegen die Verfilmung ihres Lebens durch Volker Schlöndorff

Anna Walentynowicz war früher die berühmte Kranführerin der Lenin-Werft und engagierteSolidarność-Kämpferin

„Ich bin keine Heldin! Ich wollte nie eine sein“, empört sich Anna Walentynowicz über den Filmregisseur Volker Schlöndorff. „Der dreht hier in der Danziger Werft einen Heldenfilm über mich. Wie kann er das tun, ohne mich zu fragen? Sollen wir uns etwa vor Gericht treffen?“ Seit Wochen schon schickt die einst berühmte Kranführerin der Lenin-Werft und engagierte Solidarność-Kämpferin Protestbriefe an Filmproduzenten und polnische Medien. Einen Anwalt hat sie auch schon kontaktiert. Die heute 76-Jährige will um jeden Preis den Film „Vergessene Heldin“ verhindern.

Tatsächlich ist aber Schlöndorff schon in Danzig und dreht. Dabei will er gar nicht so sehr die Geschichte der polnischen Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarność nachstellen. Vielmehr interessiert ihn, ob ein einzelner Mensch in der Lage ist, den Lauf der Geschichte zu verändern. 1980 war es die entlassene Anna Walentynowicz, für die die Danziger Werftarbeiter in den Streik traten. Ihre Rolle übernimmt im Film Katharina Thalbach, die mit Schlöndorffs „Blechtrommel“-Verfilmung berühmt wurde.

Als im Sommer 1980 Arbeiterforderungen nach Lohnerhöhung, Zulagen und Wiedereinstellung der Kranführerin und des Elektrikers Lech Wałęsa erfüllt waren, war es Walentynowicz, die mit der Parole „Wir streiken solidarisch weiter“ den Arbeitern in den anderen Betrieben an der Ostseeküste beistehen wollte. Dann folgten wie in einer Kettenreaktion weitere Streiks. Bald war das ganze Land im Aufstand. Politische Forderungen folgten. Und am Ende musste die Kommunistische Partei ihnen zustimmen. Ein weiteres Blutbad wie 1970, als sie die streikenden Arbeiter der Ostseeküste zusammenschießen ließ, wollte sie nicht anrichten.

Es war der Beginn der mit zehn Millionen Mitgliedern größten Freiheitsbewegung im damaligen Ostblock. 1989 übernahm die Solidarność die Regierung in Polen. 1990 fiel die Mauer in Deutschland. Das kommunistische System brach in sich zusammen. Berühmt wurde später allerdings nicht Anna Walentynowicz, sondern Lech Wałęsa. Er erhielt den Friedensnobelpreis und wurde 1990 Staatspräsident Polens.

Schlöndorff meint: „Es geht mir darum, wie eine einzelne Person, die gar nichts Besonderes bewirken will, sondern einfach nur sich selbst und ihren Überzeugungen treu bleibt, den Lauf der Geschichte ändert.“ Mehr will er zunächst über den Film nicht sagen. Auch zu den Vorwürfen von Walentynowicz, sie werde im Film als Trinkerin und Analphabetin dargestellt, der der siebenjährige Sohn vorlesen müsse, schweigt Schlöndorff.

„Im Film ist nicht mehr die Rede von Anna Walentynowicz“, sagt hingegen Marianna Rowinska von der polnischen Produktionsfirma Paisa Films, die „Die vergessene Heldin“ zusammen mit den Berliner Firmen Provobis und Mediopolis sowie dem Bayerischen Rundfunk produziert. „Es geht im Film um eine anonyme Arbeiterin. Schließlich drehen wir einen Spielfilm. Anders als bei einem Dokumentarfilm braucht man da Spannungselemente.“

Anna Walentynowicz aber fühlt sich wie so oft in ihrem Leben verraten. „Wieso stecken sie meinen Sohn in eine Zomo-Uniform? Er hat nie gegen mich gekämpft. Er stand nicht auf Seiten von General Jaruzelski.“ In ihrer Wohnung liegen die Drehbücher. „Auf meinen Protest hin haben sie nur den Titel geändert und den Namen der Heldin. Aber jeder wird wissen, dass es um mich geht. Ich will doch gar nicht viel: Sie sollen einfach nur die Wahrheit zeigen!“ GABRIELE LESSER