Die erste Zeugin

Karen König hat das deutsche NOK auf Schadenersatz verklagt, weil sie als Kind unwissentlich gedopt wurde. Mit dem Beginn der Beweisaufnahme nimmt der Prozess nun endlich Fahrt auf

„In der DDR wurde gedopt, das war aus medizinischer Sicht nicht vertretbar“

AUS BERLIN FRANK KETTERER

Karen König sagt, dass sie sehr froh darüber sei, dass es nun endlich losgehe. Sie hat schließlich lange genug auf diesen Augenblick warten müssen. Nun aber, diesen Dienstag, wird vor dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg die erste Zeugin vernommen werden, und für Karen König ist das das gute Zeichen, dass es nun doch voran geht in ihrem Prozess. Vor über zwei Jahren schon hat sie ihre Klage gegen das Nationale Olympische Komitee für Deutschland auf den Weg gebracht, mit der sie, die im Alter von 15 Jahren bereits Weltrekord geschwommen war mit der 4 x 100-m-Freistilstaffel der DDR, das gesamtdeutsche NOK juristisch in die Pflicht nehmen will für die Spätfolgen, die ihr durch das DDR-Zwangsdoping entstanden sind.

Damals, als Karen König noch Kind war und Deutschland ein geteiltes Land, wurde ihr Doping verabreicht, damit sie noch schneller würde und noch mehr Medaillen würde gewinnen können für den Arbeiter-und-Bauernstaat. Das große blonde Mädchen hatte keine Ahnung, dass es sich bei den blauen Pillen, die da in Plastikbecherchen am Beckenrand für sie bereit standen, um Oral-Turinabol handelte, das Allround-Dopingmittel der DDR. Es seien Vitamine, sagten die Trainer und Betreuer dem Mädchen; dass sie Schäden von all den Pillen davon tragen würde, sagte Karen König niemand. Heute leidet die 36-Jährige unter Hautveränderungen, Stimmvertiefung und Depressionen – und es ist noch nicht einmal zynisch, wenn man sagt, dass König vom Schlimmsten noch verschont geblieben ist. Unter Krebs leiden auffällig viele der ehemaligen DDR-Sportler, die heute als Dopingopfer aktenkundig sind, manche an Unterleibserkrankungen, andere wiederum haben Fehlgeburten hinter sich oder Kinder mit Missbildungen zur Welt gebracht.

Um 10.225 Euro Schadenersatz geht es in der Klage von Karen König, zumindest juristisch gesehen ist das so. In Wahrheit aber, so sagt es die 36-Jährige, geht es nicht um Geld, sondern darum, dass das NOK sich endlich nicht mehr aus der Verantwortung stehlen kann für die verbrecherischen Taten seiner jüngsten Geschichte. Das Vermögen des DDR-NOK, rund 5,4 Millionen Mark, hat das wiedervereinigte NOK nach der Wende freudig übernommen, nun soll es auch die Verantwortung für all die Dopingschäden übernehmen. „Gesetzlich angeordnete Schuldmitübernahme“ nennen das die Juristen.

Das NOK ist sich keiner Schuld bewusst, jedenfalls gibt es das so vor. „Ethisch-moralisch bewegt uns das natürlich“, sagt zwar NOK-Sprecher Michael Schirp, andererseits sei ein Zusammenhang zwischen Dopingopfern und NOK schlichtweg „nicht herstellbar“. Schirp: „Historisch betrachtet ist das Staatsdoping über den DTSB gelaufen“, also den Deutschen Turn- und Sport-Bund. Auch Günter Paul reitet auf dieser Welle. Im Spiegel hat der Rechtsanwalt des NOK gerade behauptet, es fehle jeder Nachweis, dass das NOK der DDR in Sachen Doping „auch nur einen Finger krumm gemacht hat“. Außerdem, so Paul, sei damals ja niemand gezwungen worden, Dopingmittel einzunehmen. „Die erwachsenen Athleten wussten Bescheid aus den Gesprächen, die zu Beginn und zum Abschluss ihrer Karriere geführt wurden.“ Bei den Kindern wiederum seien die Eltern in Kenntnis gesetzt worden.

Karen König nennt diese Art der Geschichtsklitterung „unverfroren“ und „zynisch“, auch Jens Steinigen, ihr Anwalt, kann nur verständnislos den Kopf schütteln. „Diese Argumente sind mir noch nicht untergekommen“, sagt der ehemalige Weltklasse-Biathlet. Für Steinigen, der seine Promotion über „zivilgerichtliche Aspekte des Dopings aus Sicht des Spitzensportlers“ geschrieben hat, besteht nicht der geringste Zweifel, dass das DDR-NOK am Staatsdoping „maßgeblich beteiligt“ war.

Indirekt haben das bundesdeutsche Gerichte sogar schon bestätigt. So stellte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main bereits bei der Bewilligung der von Karen König beantragten Prozesskostenhilfe im Februar 2003 fest, dass es „geradezu als offenkundig“ zu gelten habe, „dass auch das NOK der DDR die Anwendung „unterstützender Mittel“ gefördert, mitgetragen und vor der Öffentlichkeit, insbesondere im westlichen Ausland, geheim zu halten versucht hat“. Auch Dorit Rösler, die am Dienstag als Zeugin aussagen wird, will das bestätigen. Rösler war Ärztin in Königs ehemaligem Schwimmklub TSC Berlin, sie war es, die die Dopingpillen an die Trainer weiterreichte. Schon 1998, bei den Berliner Dopingprozessen, war sie geständig und wegen Körperverletzung durch Doping zu einer Geldstrafe von 7.000 Mark verurteilt worden. Heute sagt sie: „In der DDR wurde gedopt, das war aus medizinischer Sicht nicht vertretbar. Falls Frau König mit Folgen zu kämpfen hat, wünsche ich, dass sie entschädigt wird.“

Es könnte also eng werden für das NOK, zumal es durchaus um mehr geht als die 10.225 Euro Schmerzensgeld, die Karen König einklagt. Schließlich ist die 36-Jährige nur die Erste, die es sich getraut hat, gegen das große NOK zu klagen, die letzte dürfte sie, einen Prozesserfolg vorausgesetzt, kaum sein. Schon jetzt haben 137 weitere Dopingopfer angekündigt, eine Sammelklage einreichen zu wollen. Um über eine Million Euro ginge es dann.

Karen König sagt, dass sie das nicht interessiere, eben weil es ihr nicht um Geld gehe, sondern „um die Sache an sich“. Sie sagt: „Am Wichtigsten ist mir, dass die nicht mehr sagen können: Dopingopfer – damit haben wir nichts zu tun.“