„Zu schnelles Sparen ist unvernünftig“

Der Ökonom Gustav Adolf Horn über die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD und ihren Versuch, 35 Milliarden Euro zu erwirtschaften: „Sanieren nur, wenn Wirtschaft wächst.“ Konsolidierung und Investitionen gehören für ihn koordiniert

INTERVIEW HANNES KOCH

taz: Karl Schiller – was fällt Ihnen zu diesem Namen ein?

Gustav Adolf Horn: Dass man anlässlich der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD jetzt wieder öfter über ihn liest.

Der Wirtschaftsminister der ersten Großen Koalition 1966 bis 1969 – was ist heute noch so faszinierend an ihm?

Wir erleben eine ähnliche politische Koalition wie damals – doch 1966 war man intellektuell weiter als heute.

Wodurch ist die Weisheit verloren gegangen?

Viele Ökonomen halten die Sanierung der öffentlichen Haushalte für das Wichtigste. Eine Annahme, die durch die Empirie nicht bestätigt wird. Wir wissen inzwischen, dass die Wirtschaft auch dann gut wachsen kann, wenn der Staat Schulden aufnehmen muss. Das bestreitet die herrschende Lehre aber vehement – mit dem Argument, durch hohe Kredite komme es zu Inflation und steigenden Zinsen.

Sollte es denn eine Renaissance der Schiller’schen Politik geben?

Das wäre zu wünschen. Die Bemühungen um die Konsolidierung des Haushalts wurden damals eingebettet in eine gesamtwirtschaftliche Politik. Heute dagegen werden die beiden Politikbereiche isoliert betrachtet. Dadurch gewinnt die Finanzpolitik eine Eigendynamik, die mit wirtschaftspolitischer Vernunft nichts mehr zu tun hat.

Wie sah der entscheidende Kunstgriff aus, den Karl Schiller anwandte?

Man hat damals eine Politik gemacht, die viel stärker von folgender Erkenntnis durchdrungen war: Die öffentlichen Haushalt lassen sich nur dann sanieren, wenn die Wirtschaft wächst. Deshalb wurde ein Konjunkturprogramm aufgelegt, um das Wachstum zu stimulieren. Das ließ die Einnahmen fließen, die man brauchte.

Mit dem bekannten Ergebnis, dass die öffentlichen Schulden seit damals unaufhörlich steigen.

Schiller hat immerhin versucht, dem entgegenzuwirken.

Jetzt wollen Union und SPD bei ihren Verhandlungen 35 Milliarden Euro bis 2007 einsparen. Geht daran überhaupt ein Weg vorbei?

Es kommt darauf an, welches Ziel angepeilt wird. Die schnelle Konsolidierung des Haushalts ist wirtschaftspolitisch nicht vernünftig.

Aber ist Sparen nicht notwendig?

Wir sollten mittelfristig denken, in Zeiträumen von vier bis fünf Jahren. Wenn wir die gesamte Sparanstrengung zusammendrängen auf zwei Jahre, besteht die Gefahr, dass die Konjunktur gebremst wird. Dann kann die deutsche Wirtschaft ihre Stagnation nicht überwinden.

Nun droht die Europäische Kommission mit einer Strafzahlung, falls Deutschland den Stabilitätspakt von Maastricht nicht bald einhält.

Daran glaube ich nicht. Denn der Pakt lässt eine gewisse Flexibilität zu. Es wird ein Druck aufgebaut, der so gar nicht existiert.

Ignorieren Sie nicht die reale Lücke von 35 Milliarden, die ja nicht wesentlich übertrieben zu sein scheint?

Durchaus nicht. Ich plädiere dafür, die konsumtiven Ausgaben zu reduzieren und die Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur zu erhöhen. Außerdem sollten die gesamten Ausgaben weniger stark steigen als das nominale Bruttoinlandsprodukt.

Die Finanzierungslücke schließen Sie damit nicht. Also halten Sie zusätzliche Schulden für den einzigen Weg?

Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Wobei eines klar sein muss: Die Ausgaben für Investitionen sollten höher sein als die zusätzlichen Kredite, damit der Bundeshaushalt nicht gegen die Verfassung verstößt.

Welches wäre das wichtigste Signal, das die Verhandler aussenden sollten?

Union und SPD sollten ein Konsolidierungskonzept über fünf Jahre beschließen, das dann aber auch eingehalten wird. Gleichzeitig brauchen wir ein Programm für öffentliche Investitionen in Höhe von rund zehn Milliarden Euro.