Die Königin kehrt zurück

Wenn mit „Aerial“ das neue Album von Kate Bush erscheint, wird die Königin des Pop nach zwölf Jahren endlich wieder ihren Thron einnehmen. Denn diese Frau spielt in einer Liga, für die Gestalten wie Madonna nicht einmal zugelassen werden. Sie ist seit über 30 Jahren ein Geheimnis – Zeit, es ein wenig zu lüften

VON ARNO FRANK

All the things that you needed from me. All the things that you wanted for me. All the things that I should’ve given. But I didn’t.

Vor ein paar Wochen kam mal wieder ein Song von ihr im Radio. Nicht „Babooshka“, nicht „Wuthering Heights“ oder „Running Up That Hill“, sondern ein neuer Song. Und obwohl „King Of The Mountain“ kein Meisterwerk ist, hat diese Single weltweit Musikfreunde in fiebrige Aufregung versetzt.

Seitdem überbieten sich die Feuilletons mit hymnischen Hommagen und tun so, als wäre da für den kommenden Montag die Landung eines außerirdischen Raumschiffs angekündigt – und nicht einfach nur die Veröffentlichung von „Aerial“, dem ersten Album von Kate Bush nach zwölf Jahren totaler Funkstille.

Und zwölf Jahre sind eine lange Zeit, im Pop sogar eine Ewigkeit. Nach den Gesetzen der vergesslichen Branche müsste die Musik von Kate Bush längst verhallt, ihr Name längst verweht sein. Rätselhafterweise ist das exakte Gegenteil der Fall. Weil Kate Bush jenseits der Gesetze steht, wie nicht nur entnervte EMI-Manager gerne bestätigen.

André 3000 von der HipHop-Supergroup Outcast nannte Kate Bush jüngst „die am meisten unterbewertete Musikerin unserer Zeit“, das Rocktrio Placebo coverte „Running Up That Hill“, die angesagten Futureheads landeten mit ihrer rotzigen Version von „Hounds Of Love“ auf Platz 8 der englischen Charts, Modedesigner lassen sich von den exaltierten Klamotten inspirieren, die sie 1979 letztmals auf der Bühne trug – und der Schriftsteller John Mendellsohn erzielte unlängst einen Erfolg mit der Novelle „Waiting For Kate“, darin ein Selbstmörder nur dann nicht vom Hochhaus springen will, wenn die kapriziöse Greta Garbo des Pop doch bitte endlich eine neue Platte veröffentlicht.

Nun kommt sie also, die Platte, und das britische Boulevardblatt The Sun freut sich schon auf „the greatest comeback since Lazarus“. Tatsächlich ist „Aerials“ – unterteilt in eine lose Songsammlung („Sea Of Honey“) einerseits und ein durchkomponiertes Konzeptalbum („Sky Of Honey“) andererseits – ein phänomenales Meisterwerk.

Meilenweit entfernt vom zeitgeistigen „Red Shoes“ knüpft La Bush hier bewusst an ihr erratisches Meisterwerk „Hounds Of Love“ an. „Es sollte nur größer sein“, sagt sie, „meine Dänischen Doggen Of Love sozusagen“, nur reifer und wärmer, mit Taubengurren, Meeresrauschen, mit Theremin, kratzigen Gitarren, Folk, Flamenco, Pianozauber und einem hinreißenden Gesangsduell zwischen der Sängerin und einer Nachtigall. Kate Bush hat einen Vogel? Sie hat eine ganze Voliere.

Dabei ist es gar nicht mal so schwer, dem Rätsel ihrer geradezu mythischen Verehrung auf die Schliche zu kommen. Es genügt, sich ein wenig mit Astrophysik beschäftigt zu haben – und zu wissen, wer Madonna ist.

Madonna? Dazu müssen wir Kate Bush für ein paar Augenblicke den Rücken kehren und ihre seltsame Zwillingsschwester genauer ins Auge fassen. Denn die beiden Künstlerinnen verbindet mehr, als man meinen möchte.

Beide, Madonna und Bush, sind 47 Jahre alt. Beide haben auf eigene Faust Karriere gemacht und so ein Rollenmodell etabliert, dass es zuvor im Pop nicht gab. So inszenierte sich Madonna gerne als illusionsloses „Material Girl“, während Bush sich als tanzende Illusion auf zwei Beinen gefiel, als verträumtes Mädchen, das einem Roman der Brontë-Schwestern entsprungen zu sein schien. Beide thematisierten ihre spezifisch weiblichen Bedürfnisse so offen wie kaum eine andere Künstlerin zuvor – wobei sich Kate Bush mit ihrer Menstruationshymne „Strange Phenomena“ ein wenig weiter aus dem Fenster lehnte. Und, ach ja, beide Frauen finden auf ihre alten Tage einen gewissen Frieden in der Mutterrolle.

Erhellender aber als diese zahllosen Parallelen zwischen den Pop-Ikonen sind die entscheidenden Unterschiede: Von ihren spirituellen Vorlieben bis zu ihrer Schamhaarfrisur wissen wir einfach alles über Madonna, sie ist ein öffentlicher Mensch. Über Kate Bush wissen wir – nichts. „How To Be Invisible“ heißt ein Song auf ihrem neuen Album, und wirklich ist ihr Privatleben ein einziges Schwarzes Loch. Vielleicht ist es ja genau das, was die enorme Anziehungskraft ihres Mysteriums ausmacht.

Aber so bequem es sich über den Stellenwert einer Madonna im popkulturellen Zeichensystem schwadronieren lässt, so schwer ist es, sich auch nur an eine einzige Melodie zu erinnern.

Madonna, das ist immer das visuelle Bild ihrer jeweiligen Inkarnation. Kate Bush ist Klang. Madonna personifiziert heute noch den kommerziellen Ehrgeiz, Kate Bush den künstlerischen. Deshalb hätte es ohne die aggressiven Selbstvermarktungsstrategien einer Madonna keine Courtney Love oder Gwen Stefani gegeben – sie mag als postfeministisches Geschäftsmodell in Erinnerung bleiben, als Musikerin sicherlich nicht.

Ohne Kate Bush allerdings gäbe es keine Tori Amos, keine Alanis Morrissette, keine Sheryl Crow, keine Siouxie & The Banshees, keine Portishead, keine Björk, keine Fiona Apple, keine Heather Nova … – sie alle sind Kolonialistinnen auf einem Terrain künstlerischer Freiheit, zu dem Kate Bush vor einem Vierteljahrhundert erst die Tür aufgestoßen hat. Wo eine alternde Madonna deshalb immer höher hinausmuss, getrieben, atemlos, dort zieht es eine Kate Bush immer tiefer, „tiefer, denn irgendwo in der Tiefe gibt es ein Licht“.