Die Union sorgt sich um den Partner

In der „völlig veränderten Lage“ nach Münteferings Rückzug denkt Stoiber plötzlich wieder über einen Verbleib in Bayern nach

BERLIN taz ■ Auf Krisen bei der Konkurrenz reagieren Politiker normalerweise eher hämisch. Nicht so gestern. Die Rücktrittsankündigung von SPD-Chef Franz Müntefering löste auch in der Union Bestürzung aus – jedenfalls bei jenen, die der designierten Kanzlerin Angela Merkel nahe stehen und eine große Koalition unter ihrer Führung wünschen. „Das ist kein Grund für Schadenfreude“, sagte ein Merkel-Anhänger aus der Unions-Bundestagsfraktion der taz zum Chaos bei den Sozialdemokraten, „wir brauchen sie ja als Partner.“

Entsprechend zurückhaltend bewerteten Merkels Parteisprecher die Ereignisse. Die Koalitionsverhandlungen sollten ganz „normal“ weitergehen, hieß es aus der CDU-Zentrale zunächst. Doch von Normalität konnte schon kurz nach dem Müntefering-Rückzug auch in der Union keine Rede mehr sein. Aus der bayerischen Schwesterpartei CSU war sofort zu hören, es gebe nun eine „völlig veränderte Lage“, die auch CSU-Chef Edmund Stoiber dazu bewegen könnte, seinen geplanten Wechsel nach Berlin abzublasen.

Erste Eilmeldungen über einen Verzicht Stoibers auf ein Ministeramt wurden am Abend zwar dementiert. Richtig sei jedoch, dass der CSU-Chef seinen Eintritt in ein Kabinett Merkel „überdenke“. Zur Begründung wurde in München auf das enge persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Stoiber und Müntefering verwiesen. Stoiber gehe davon aus, dass es „in Zukunft eine ganz andere SPD geben wird als bisher“, zitierte die Welt aus CSU-Kreisen.

Trotz aller Beschwichtigungsversuche aus dem Merkel-Lager wurden auch in der CDU erste Befürchtungen laut, die große Koalition könnte doch noch platzen. „Das ist ein echter Hammer“, sagte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach zur Entscheidung des SPD-Vorstands, die Parteilinke Andrea Nahles als Generalsekretärin vorzuschlagen. Er befürchtet nun einen generellen Linksrutsch der SPD. „Diese Entscheidung macht jedenfalls eines deutlich: dass die SPD alles tut, damit nicht noch mehr ihrer Leute zur Linkspartei abwandern“, sagte Bosbach der taz. Sollte sich der linke Flügel in der SPD dauerhaft durchsetzen, wäre dies „eine Belastung für die Verhandlungen“.

Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und CDU-Vize Jürgen Rüttgers äußerte sich besorgt. Es herrsche tiefe Verunsicherung in der Union, dass es bei der SPD nicht nur um die Personalfrage des Generalsekretärs, sondern um die inhaltliche Ausrichtung der Partei gegangen sei, sagte Rüttgers. Müntefering sei für die angestrebte Koalition wie „ein Anker“ gewesen. In Merkels Umfeld wurde eingeräumt, man habe bisher darauf gebaut, mit den designierten SPD-Ministern Müntefering, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier „verlässliche Partner“ zu haben, die eine gewisse Stabilität der Zusammenarbeit garantieren könnten. „Diese Illusion ist mit dem heutigen Tag zerplatzt.“ Nun baut man darauf, dass die neue starke Frau der SPD vielleicht doch nicht ganz so links sei: „Auch Frau Nahles hat sich doch für die große Koalition ausgesprochen.“ LUKAS WALLRAFF