Franz schmeißt hin

SPD-Vorsitzender Müntefering erleidet eine Niederlage, und schon hat er keine Lust mehr auf dieses Amt

VON BETTINA GAUS

Die Geschichte politischer Niederlagen ist eine Geschichte, in der Unausweichlichkeit und Vermeidbarkeit häufig ganz dicht nebeneinander liegen. Es kommt nur darauf an, wie weit man jeweils zurückblickt.

Wer in der Niederlage von Franz Müntefering ein grotesk-ironisches Element finden möchte, muss auf den 5. September 1999 schauen. Damals beschloss das SPD-Präsidium einstimmig, das Amt eines Generalsekretärs einzurichten. Und ausgerechnet der erste Amtsinhaber Franz Müntefering hatte sich dagegen ausgesprochen, dem Parteivorsitzenden – so wie bei der CDU – in den Statuten das alleinige Vorschlagsrecht einzuräumen.

Wohl niemand hätte seinerzeit für möglich gehalten, dass ihm ausgerechnet diese Bestimmung einmal die schwerste Niederlage seiner politischen Laufbahn bescheren würde und vielleicht sogar deren politisches Ende bedeutet. Es hielt ja damals niemand für möglich, dass der heute 65-Jährige es jemals so weit bringen würde. Sein Aufstieg vollzog sich in den letzten Jahren in mehreren Stufen, deren einzelne stets überraschend auftauchten – aber dennoch zugleich auf seltsam unspektakuläre Weise erklommen wurden.

Kein Machtkampf ging den Karriereschritten von Franz Müntefering in den letzten Jahren voraus. Sogar die Kanzlerkandidatur war nun in greifbare Nähe gerückt, ohne dass er sich je ernsthafter Konkurrenten hätte erwehren müssen.

Und so jemand stolpert ausgerechnet über ein Problem, das bisher stets als rein formales betrachtet wurde? Zu Recht, übrigens: So weit ist innerparteilicher Widerspruchsgeist im Allgemeinen nicht entwickelt, dass einem Vorsitzenden das traditionelle Vorrecht verwehrt wird, sich seinen engsten Mitstreiter selbst auszusuchen. Da mag in den Statuten stehen, was will. Es sei denn, es gärt in einer Partei so sehr, dass vorübergehend alle Regeln außer Kraft gesetzt zu sein scheinen. Dann allerdings wird im Allgemeinen der Parteivorsitzende gestürzt. Nicht bloß sein designierter Generalsekretär.

Das Ergebnis der gestrigen SPD-Vorstandssitzung ist dasselbe wie das Ergebnis einer geglückten Palastrevolution. Das war kein kalter Putsch, der Franz Müntefering das Amt gekostet hat – es war eine Entwicklung, die kaum jemand in der Partei gewollt haben dürfte. Die aber dennoch im Rückblick eben auch als fast unausweichlich erscheint. Wenn man aus dem Rathaus kommt, ist man klüger: Die Sozialdemokraten marschieren derzeit geschlossen aus dem Rathaus. Und Müntefering marschiert – wohl zum letzten Mal – an ihrer Spitze.

Als „Seele der Partei“ galt der Sauerländer und zugleich als enger Vertrauter von Gerhard Schröder. Diese Doppelrolle war schwierig, aber sie bot auch Chancen. Dass dem Kanzler der Rücken freigehalten werden musste, akzeptierten selbst innerparteiliche Gegner des Regierungskurses, und so wurde Müntefering manches verziehen, was Schröder selbst wohl nicht ungestraft hätte tun dürfen. Etwa die Drohung, unbotmäßige Abgeordnete mit schlechten Listenplätzen abzustrafen. Oder der seltsame Versuch, scharfe Kapitalismuskritik mit Sozialabbau zu verbinden.

Mit dem Rückzug von Gerhard Schröder endete die Zeit der geteilten Verantwortung. Als die SPD den Tiefpunkt in der Wählergunst erreicht zu haben schien, wurde offen spekuliert, ob Müntefering das erste Opfer der notwendigen Neuorientierung der Partei in der Opposition sein würde. Nun regiert die SPD weiter, und das verdankt sie nicht zuletzt ihrem bisherigen Vorsitzenden. Vor diesem Hintergrund muss die Niederlage besonders bitter sein.

Aber sie ist eben auch folgerichtig. Der Kampf um den künftigen Kurs der Partei hat sich nicht erledigt, nur weil die SPD bei den Wahlen mit einem blauen Auge davongekommen ist. Personalentscheidungen sind oft auch Richtungsentscheidungen und lösen gerade in Zeiten des Umbruchs nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen, sondern in weiten Kreisen heftige Reaktionen aus. Oft Frustration, selten Jubel.

Enttäuschte Hoffnungen wurden nun Müntefering alleine angelastet, in jedem Kampf um Posten musste er sich entscheiden. Das gilt nicht nur für das Amt des Generalsekretärs. Hätte sich Heidemarie Wieczorek-Zeul vom stellvertretenden Parteivorsitz zurückgezogen, um Platz für Andrea Nahles zu machen – es wäre alles anders gekommen. Aber um das zu erzwingen, war Franz Müntefering noch nicht stark genug. Er hat es geschafft, der Partei ihr Selbstbewusstsein zu erhalten. Und zahlt nun selbst dafür den Preis.