Charité droht Not-OP

Zum wiederholten Mal protestieren Charité-Mitarbeiter gegen angekündigte Lohnkürzungen. Doch der Vorstand bleibt hart. Auch, weil er nicht anders kann. Denn der Klinik-Riese kränkelt seit langem

von TINA HÜTTL

Der Anblick von streikenden Charité-MitarbeiterInnen ist im Straßenbild nichts Neues. Auch gestern wieder zogen Krankenschwestern, Ärzte und Angestellte nach einem Aufruf der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di mit Transparenten bis vors Rote Rathaus. Im Kern geht es um Folgendes: Die Charité-Mitarbeiter wehren sich gegen Lohnkürzungen und betriebsbedingte Kündigungen, die der Charité-Vorstand im Falle einer Ablehnung des neuen Tarifpakets androht.

Seit Monaten stocken die Verhandlungen zwischen den Tarifparteien. Erst vergangenen Donnerstag ließen die Gewerkschaften ein neues, in ihren Augen zu schlechtes Angebot platzen. Doch die Charité bleibt hart, auch, weil sie schlicht kein Geld hat. Noch viel schlimmer: Der Patient Uniklinik hat selbst von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) eine Diät verordnet bekommen: Eine Milliarde Euro beträgt das jährliche Budget der Charité nach Auskunft von Brigitte Reich, Sprecherin der Wissenschaftsverwaltung. Der größte Teil wird mit den Krankenkasseneinnahmen beglichen. Aber auch Berlin trägt einen jährlichen Anteil von aktuell 230 Millionen Euro für Forschung und Lehre. Zu viel, wie Sarrazin befand. Bis 2010 wird der Zuschuss um 98 Millionen Euro gekürzt.

Klar, dass vor allem die Personalkosten in Europas größtem Uni-Krankenhaus, die nach Klinikangaben rund 70 Prozent des Gesamtbudgets ausmachen, unter Beschuss stehen. Um 31,7 Millionen Euro, so der Plan des Charité-Vorstandes und des Senats, müssen sie jährlich gedrückt werden. Sie fordern von den 15.000 Beschäftigten Einkommensverzicht. Andernfalls drohe die betriebsbedingte Kündigung von 1.500 Mitarbeitern, sagt Klinikdirektor Behrend Behrends.

Die Gewerkschaften halten massiv dagegen und finden maximal eine Kürzung von 6,5 Millionen beim Personal für vertretbar. Für die Beschäftigten herrscht so weiterhin der tariflose Zustand, den das Land mit seinem Austritt aus dem Arbeitgeberverband 2003 besiegelt hat. Nun drängt die Politik auf eine Lösung und hat ein Schlichtungsverfahren angeregt. Darauf will sich Ver.di jedoch nicht einlassen. Hinzu kommt: Mittlerweile blockieren sich die verschiedenen Wortführer der Arbeitnehmer untereinander (siehe Bericht unten): Während die Forderung der Ärzte nach bis zu 30 Prozent mehr Lohn von Ver.di als ungerecht gegenüber anderen Beschäftigungsgruppen abgelehnt wird, verweist man beim Marburger Bund, der reinen Ärztevertretung, auf die Unterbezahlung vor allem der jungen Klinikärzten: Überstunden, befristete Arbeitsverträge, kein Weihnachts- und Urlaubsgeld und Schichten von bis zu 36 Stunden seien der Normalfall.

Doch die geplatzten Tarifverhandlungen sind nur eine von vielen anstehenden Notoperationen: Die Strukturreform, die 128 Kliniken und Institute an vier Standorten in 17 Charité-Centren zu verschmelzen, stockt. Davon erhofft sich die Charité-Spitze „kostensparende Effizienz“. Aber die Klinikchefs lassen sich nicht so einfach entmachten.

Neben den Senatskürzungen gibt es noch anderen Spardruck: Die seit Januar 2004 eingeführten Fallpauschalen, durch die Krankenkassen den Kliniken weniger für Leistungen bezahlen, bescheren der Charité riesige Verluste, so dass sie nach eigenen Angaben bis 2010 nicht nur mit 98, sondern mit rund 250 Millionen weniger auskommen muss. Hinzu kommt ein Sanierungsbedarf der Klinikbauten von rund 500 Millionen Euro. Ob all diese Operationen auf einmal glücken, ist mehr als fraglich.