UNO und USA streiten über Guantánamo

Die Regierung in Washington gestattet einer UN-Expertengruppe nicht, Gefangene in dem Lager auf Kuba zu sprechen. Begründet wird dies mit dem „Krieg gegen den Terror“. Das Team besteht auf freiem Zugang zu den Häftlingen

AUS WASHINGTONADRIENNE WOLTERSDORF

Die Vereinten Nationen haben den USA inakzeptable Auflagen für einen geplanten Besuch des Gefangenenlagers Guantánamo vorgeworfen. UN-Menschenrechtsexperten wollen nur dann nach Guantánamo reisen, wenn ihnen direkter Zugang zu den Häftlingen gewährt wird. Andernfalls sei die Einladung der US-Regierung „wenig sinnvoll“, sagte der Sonderermittler für Folter und Willkürhaft, Manfred Nowak, am Montag in New York.

„Sie sagen, sie hätten nichts zu verbergen. Warum wird es uns dann nicht erlaubt, mit den Gefangenen allein zu sprechen?“, fragte er. Selbst China, dessen Behandlung von Häftlingen viel zu wünschen übrig lasse, lege der UNO keine solchen Steine in den Weg.

Das Außenministerium in Washington hatte am Donnerstag fast vier Jahre nach dem ersten UN-Antrag bekannt gegeben, dass drei Fachleute das Lager auf Kuba inspizieren und mit Soldaten und medizinischem Personal sprechen dürften. Zwei Fachleute erhielten keine Genehmigung. Nowak sagte dazu am Montag, er könne die Einladung nur annehmen, wenn die USA ihm gestatten, das gesamte Lager zu sehen und ungehindert mit den Häftlingen zu sprechen.

Beides sei zurzeit nicht der Fall. Diese Bedingungen seien „nicht verhandelbar“, erklärte der Österreicher Nowak. „UN-Ermittler sind nicht in der Lage, eine Art von Führung durch Guantánamo zu akzeptieren. Wir können keine niedrigeren Standards für solche Missionen akzeptieren als bei anderen Ländern, einschließlich Chinas“, sagte Nowak. Falls die USA auf die Forderungen der UNO eingehen, will Nowak das Lager am 6. Dezember besuchen.

Das Verbot von vertraulichen Gesprächen mit den Häftlingen begründen die USA damit, dass sie sich nach wie vor „im Krieg gegen den Terror“ befänden. Unter diesen Umständen beanspruchen die USA für die Gefangenen eine andere als die zivilrechtliche Rechtsprechung. Als einziger internationaler Organisation gestattete das Pentagon bislang nur dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz Zugang zu dem Lager. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben der Regierung in Washington vorgeworfen, damit gegen die Grundsätze des Rechtsstaats zu verstoßen.

Auf dem Stützpunkt Guantánamo Bay an der Ostküste Kubas halten die USA seit dem Afghanistankrieg im Jahr 2001 rund 520 Terrorverdächtige ohne Anklage oder Prozess gefangen. Gemäß den Angaben des US-Militärs sollen 27 Häftlinge im Hungerstreik sein. Alle würden zwangsernährt, ihr gesundheitlicher Zustand sei stabil. Die Hungerstreikenden protestieren gegen ihre lange Haftdauer.

Wie die Tageszeitung Washington Post am Dienstag berichtete, wurde ein New Yorker Rechtsanwalt, der seinen Mandanten Jumah Dossari auf Guantánamo besuchte, am 15. Oktober Augenzeuge von dessen Selbstmordversuch. Dossari, der 2001 in Afghanistan verhaftet wurde und seit zwei Jahren in Einzelhaft auf Guantánamo sitzt, soll, vermutet sein Anwalt Joshua Colangelo-Bryan, den Selbstmord so inszeniert haben, dass ihn ein anderer als nur sein Wächter bezeugen kann. Er werte dies als verzweifelten Protest gegen die Haftbedingungen. Dossari bat während des Anwaltsgesprächs, zur Toilette gehen zu dürfen. Als Dossari nach einigen Minuten nicht zurückkehrte, rief Colangelo-Bryan, ein Anwalt des New Yorker Zentrums für Verfassungsrecht, die Wächter. Der 26-Jährige hatte sich die Pulsader aufgerissen und mit einer Schlinge erhängt, konnte aber gerettet werden. Das Militär lehnte eine Stellungnahme ab. Ein Sprecher der Taskforce auf Guantánamo erklärte, es habe bislang insgesamt 36 Selbstmordversuche von 22 Individuen gegeben, davon drei in den letzten 20 Monaten. Kein Häftling sei bisher gestorben.