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Projektemacher, Akzentesetzer, Silbenstecher und Stifter: Eine Ausstellung im Berliner Literaturhaus ehrt den Literaturvermittler Walter Höllerer

von GERRIT BARTELS

Es passt zum Leben und Werk von Walter Höllerer, dass es in dieser ihm gewidmeten Ausstellung im Berliner Literaturhaus andere sind, die den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen. Günter Grass, der in einem Hinterhof in Berlin-Friedenau erläutert, warum er sich mit „Tagebuch einer Schnecke“ erstmals mitten in die Gegenwart begeben hat; Uwe Johnson, der mürrisch vor einem riesigen Stadtplan Gesamtberlins sitzt; oder Ingeborg Bachmann, die eingeschüchtert und mit stockender Stimme in der Berliner Kongresshalle liest.

Walter Höllerer hört man entweder aus dem Off oder man sieht ihn bei diesen Aufnahmen am Rande sitzen oder als Moderator fungieren, so wie es sich für einen guten Literaturvermittler und Literaturmanager gehört: Die Bachmann-Lesung fand 1961 im Rahmen einer von Höllerer organisierten und vom Fernsehen übertragenen „Internationalen Lesereihe“ statt, und die anderen Dichterstars sind in dem Film „Das literarische Profil Berlins“ zu sehen, der 1971 auf Höllerers Anregung gedreht wurde.

„Walter Höllerer gibt es tatsächlich. Auch wenn es sehr schwer ist, ihn zu Gesicht bekommen“, schrieb 1962 Peter Hamm in einer Reportage über Höllerer. Da ist es, trotz einer Fülle an Material, auch für die von Helmut Böttiger und Lutz Dittrich konzipierte Ausstellung kein Leichtes, dem 2003 gestorbenen Höllerer auch als Lyriker, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, der er ja ebenfalls war, ein scharfes Profil zu geben.

In zwanzig Vitrinen, deren chronologische Reihung sich erst beim zweiten, dritten Durchgang erschließt, wird anhand kurzer Erläuterungen und zahlreicher Schriftstücke Höllerers literarisches Leben nachgezeichnet, beginnend mit seinem begeistert aufgenommenen Debüt 1952 als Lyriker und dem Gedichtband „Der andere Gast“.

Doch schon mit der Gründung der Zeitschrift Akzente begann Höllerers intensive Tätigkeit als Vermittler und Netzwerker, die er bis Mitte der Siebzigerjahre beständig fortführte. Nachdem er 1959 Professor an der TU Berlin wurde, gründete er die Zeitschrift Sprache im technischen Zeitalter, organisierte die Lesereihe „Literatur im technischen Zeitalter“ und bemühte sich um Gelder für den Umbau einer Villa am Wannsee zum Literarischen Colloquium Berlin (LCB), das noch heute eine der wichtigsten literarischen Institutionen in Deutschland ist.

Natürlich stieß Höllerer schnell auch zur Gruppe 47. Er organisierte Treffen der Gruppe, gehörte zu den tonangebenden Kritikern, hatte seinen größten Auftritt aber, als er 1959 auf Schloss Elmau aus seinem Roman „Die Elefantenuhr“ las. Die Anerkennung dafür bereitete ihm erleichternde Genugtuung: „Am Abend dieses Tages sah ich ihn mit einer Leidenschaft tanzen, wie ich es bei ihm noch nie gesehen hatte“, schrieb Hans Werner Richter in seinen Erinnerungen. Gerade „Die Elefantenuhr“ markiert jedoch die Schwierigkeiten Höllerers, gleichzeitig den von ihm miterfundenen Literaturbetrieb am Laufen zu halten und sich selbst als Schriftsteller ins Recht zu setzen: Erst 1973 erschien dieser semiologisch überladende Roman, der vom Spiegel „als schwer und steif von Bildungslast und Gelehrsamkeit“ verrissen wurde. Allein die Erscheinungsdaten der anderen, mitunter freundlichen Rezensionen von Ende Juni bis Mitte September zeigen, dass hier mehr einer Pflicht als einer allseits einsetzenden Aufregung Genüge getan wurde. Nach diesem für ihn eher ungewohnten Misserfolg wendet sich Höllerer in Folge mehr und mehr seiner Heimatstadt Sulzbach-Rosenberg zu, „dem Mittelpunkt der Welt“, der er ein Literaturarchiv einrichtet, und kümmert sich um den finanziell immer wieder bedrohten Fortbestand des LCBs.

So passt es ebenfalls zum nur schwer in einer Buchkassette zu versammelnden Leben und Werk Höllerers, dass es Ausstellungen wie diese sind, die die Erinnerung an ihn wachhalten, oder auch Gedichtzeilen eines Günter Grass: „War zugleich Projektemacher, Akzentesetzer, Silbenstecher / Stifter, Gründer und Freund. / Viele Kostüme trug unser Vogel, der Walter hieß.“

Bis zum 20. 11., Literaturhaus Berlin, Fasanenstraße. Das empfehlenswerte Begleitbuch zur Ausstellung kostet 14 Euro