Rund um die Uhr

Wie wird die taz berlin eigentlich gemacht? Wo wird sie gedruckt? Und wie kommt sie in die Kneipen? Einige Antworten auf recht existenzielle Fragen

Gegen halb siebenist der Höhepunkt –die Suche nach der passenden Schlagzeile

von DAVID DENK

Der Handverkäufer wartet schon. Wie immer vorm Schwarzen Café an der Kantstraße in Charlottenburg, wo er die druckfrische taz vom nächsten Tag aus dem Lieferwagen nimmt, einen Stapel in der Kneipe deponiert und den Rest im Korb auf dem Gepäckträger seines Fahrrads.

Es ist Mittwoch, kurz nach 21 Uhr, „ein Scheißtag, weil Fußball läuft“, sagt Jonas, einer von elf selbstständigen taz-Handverkäufern. Die Bayern kämpfen im DFB-Pokal gegen Erzgebirge Aue und Jonas gegen die Zeit. Am nächsten Morgen muss er um sechs bei der Arbeit sein. Und jetzt soll er nebenbei auch noch Fragen beantworten! Jonas’ Arbeitgeber weiß nichts vom Nebenjob des Mitarbeiters. Deswegen will der Mann, den wir hier Jonas nennen, anonym bleiben.

Seit 1980 verkauft Jonas rund um den Savignyplatz die taz – sechs Tage die Woche, schon 25 Jahre. Eine Stunde ungefähr braucht er für die Tour durch Charlottenburger Kneipen und Restaurants, während der er fast alle der 20 abgenommenen Ausgaben los wird. „Mit Trinkgeld komme ich immer auf etwa 15 Euro und zwei Bier“, sagt Jonas. Ein mühsamer Job, zumal an einem Tag wie diesem, wo die meisten zu Hause vorm Fernseher sitzen.

Und dann auch noch diese Schlagzeile! „Atomlobby tut was für ihr Geld – das interessiert doch keinen“, regt er sich auf, „vielleicht ein, zwei alte Ökofreaks, aber hier wohnen die ganz bestimmt nicht mehr.“

Wenn Jonas die Zeitung zum Leser bringt, ist sie keine zwei Stunden alt. Um 19.02 Uhr hat an diesem Mittwoch die letzte Seite die Redaktion an der Kochstraße 18 verlassen, und schon um 20.11 Uhr der Vertriebsfahrer die Druckerei – auf der Ladefläche stapelweise druckfrische tazzen für den Handverkauf.

Rückblende. Eine Stunde nach den Kollegen der überregionalen taz beginnt auch der Arbeitstag in der Berlin-Redaktion mit einer Konferenz. Um kurz nach halb elf versammelt sich eine Hand voll Mitarbeiter ungewohnt pünktlich im Büro der heutigen Chefin vom Dienst (CvD), Ulrike Heike Müller. Die plant den Lokalteil für den folgenden Tag, legt Themen fest, vergibt sie an die Mitarbeiter, redigiert Texte.

Zunächst jedoch steht die Blattkritik an. Dabei ist es immer ein bisschen wie früher in der Schule: Viele haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht und versuchen sich unauffällig zu verhalten. Am Ende findet sich dann doch meistens jemand, der was zur Ausgabe sagen kann und will. Redaktionsassistent Claudius Prößer zum Beispiel ist mit dem Kommentar zum Großen Zapfenstreich nicht einverstanden: „Dass die Bundeswehr sich abschotten muss, hätte man auch als Erfolg der Gegendemonstranten kommentieren können.“

Der Berlin-Teil hat in der Donnerstagsausgabe wegen des Kinoprogramms nur drei statt vier Seiten. Einige Texte wurden vorrecherchiert, sodass zwei der Seiten fast voll sind. Eine Praktikantin hat einen Schwerpunkt zum Thema Schülergerichte vorbereitet, der heute endlich ins Blatt „gehoben“ werden soll. Außerdem geht eine andere Praktikantin auf die Betriebsversammlung des bedrohten Samsung-Werks. Zu der wird auch Klaus Wowereit erwartet.

Und Pauschalist Daniel Schulz soll klären, ob die Behörden tatsächlich immer restriktiver mit dem Versammlungsrecht umgehen, wie es ihnen die Antifaschistische Linke vorwirft. „Es wär’ super, wenn Daniel das zugespitzt kriegt“, denkt Ressortleiter Gereon Asmuth laut über den Aufmacher nach. „Man braucht zwei knackige Zitate, das reicht.“ Weil sonst gerade nichts zu tun ist, lehnt er sich in seinem Bürostuhl zurück, legt die in schwarzen Turnschuhen steckenden Füße auf den Tisch und sinniert: „Zeitung machen passiert im Kopf.“ Dort entstünden die Seiten, lange bevor sie auf dem Bildschirm erscheinen oder man sie schließlich in den Händen hält.

Daniel Schulz’ Recherche läuft unterdessen ins Leere, weil keiner zum Versammlungsrecht Position beziehen will. Nerviger Redaktionsalltag. Gegen halb vier steht für Schulz fest: „Einen Aufmacher tragen die Aussagen nicht, es ist höchstens ein Aufsetzer.“ So heißt der Text unter dem Seitenaufmacher.

In der Zwischenzeit ist Ulrike Heike Müller viel unterwegs: in der Fotoredaktion, um passende Fotos zur Bebilderung der Texte auszusuchen, im Layout, um die Seiten anzulegen, in der Repro, wo Fotos und Grafiken bearbeitet werden – und an diesem Tag muss sie die Runde gleich noch mal machen, weil die Praktikantin nicht auf die Samsung-Betriebsversammlung gekommen ist und ihre Reportage gegen eine Fotobox ausgetauscht werden muss.

Gegen halb sieben ist normalerweise der Höhepunkt des journalistischen Tagwerks erreicht – die Suche nach der Schlagzeile. Doch an diesem Tag ist der Arbeitstitel ausnahmsweise schon so treffend, dass alle kreativen Bemühungen ins Leere laufen. „Es gibt einfach Themen, da weiß man sie sofort“, sagt Ressortleiter Gereon Asmuth. Und so bleibt es bei „Kanzler-U-Bahn säuft ab“.

Sobald ein Text ins Layout eingepasst und redigiert ist sowie mit Überschrift, Unterzeile und Bildunterschrift versehen, leitet CvD Ulrike Heike Müller ihn per Knopfdruck im Redaktionssystem an die Korrektur weiter. Nächste und letzte taz-interne Station ist die Endkontrolle im Layout, bevor die Seiten endgültig die Redaktion verlassen. Per Standleitung werden sie im tif-Dateiformat an die drei Druckereien in Pinneberg, Frankfurt am Main und Berlin-Hohenschönhausen übertragen.

Es ist kurz nach sieben, die letzte Seite geht gerade in den Druck, Steffen Langer muss sich beeilen. Der 24 Jahre alte Student, einer von drei Vertriebsfahrern, ist spät dran, seine Oma hat ihn einfach nicht gehen lassen. „Das ist ein absoluter Routinejob“, sagt er, während er sich äußerst routiniert durch den Feierabendverkehr Richtung Druckerei schlängelt. „Wenn du weißt, wie’s läuft, sitzt jeder Handgriff.“ Bis etwa halb elf wird er unterwegs sein, einige Redaktionen, Firmen und vor allem die Handverkäufer beliefern. „Teilweise sehe ich gar keinen“, sagt er. „Wenn ich zu spät komme, sehe ich sie alle.“

Zuvor wurden bei Henke Pressedruck in Hohenschönhausen aus den nach Farbauszügen vorseparierten, also in Rot, Gelb, Blau und Schwarz zerlegten Dateien die Druckformen hergestellt: die Seiten ausbelichtet, auf Film belichtet, die Farbauszüge übereinander montiert und schließlich unter Vakuum auf die Druckplatten belichtet. Danach werden die Druckformen „abgekantet“, sodass man sie in die Maschinen einhängen kann.

Mittlerweile ist auch Vertriebsfahrer Langer am Leitstand der Druckstraße eingetroffen und greift sich eine Zitty: „Ich bin heilfroh, wenn ich beim Warten Zeit habe, Zeitung zu lesen.“ 30.000 Exemplare schafft die Anlage pro Stunde, sodass die an diesem Mittwoch zu druckenden 18.352 Ausgaben der taz berlin nach einer knappen Dreiviertelstunde fertig sind und Langers Lesepause beendet ist.

Mit knapp 2.000 Exemplaren und einer Viertelstunde Verspätung macht er sich auf den Weg. Nach Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Schöneberg erreicht er um kurz nach neun das Schwarze Café an der Kantstraße in Charlottenburg. Der Handverkäufer wartet schon.