Die neuen Rabiaten aus dem Osten
: KOMMENTAR VON HANNES KOCH

Mit Sentimentalitäten kann das neue Führungspersonal der deutschen Politik gar nichts anfangen. Sowohl beim jüngsten Retter der SPD, Matthias Platzeck, als auch bei der CDU-Kanzlerin in spe, Angela Merkel, hält sich die Vorliebe für alles, was westdeutsche Nestwärme ausstrahlt, in ziemlich engen Grenzen. An den guten alten Sozialstaat und den rheinischen Kapitalismus fühlen sie sich nicht gebunden.

Das mag damit zu tun haben, dass die ostdeutsche Elite nach 1989 ihren gesamten Orientierungsrahmen einschließlich Politik und Beruf, oftmals bis zu Familie und Freunden, innerhalb kürzester Zeit verschwinden sah. Ohne soziales Netz und doppelten Boden fasste sie Fuß im Westen. Ihren Aufstieg an die Spitze hat diese Elite sich selbst zu verdanken. In einem unscheinbaren Aufsatz mit dem Titel „Finnland ist mehr als Pisa“ hat Platzeck unlängst einen programmatischen Satz versteckt. „Auf wegweisende Ideen aus Westdeutschland können wir derzeit kaum hoffen“, heißt es da. Nachdem Platzeck selbst in seinem letzten Landtagswahlkampf Hartz IV gegen alle Proteste verteidigt hat, wird er sich als SPD-Chef wohl Weiteres in dieser Richtung ausdenken. Ähnlich Angela Merkel: Sie ist mit dem Kon- zept der Kopfpauschale in den Wahlkampf gezogen, einem marktwirtschaftlichen Gegenmodell zur solidarischen Sozialversicherung. Auch dabei wird es nicht bleiben. Der ostdeutsche Kapitalismus ist rabiater als der westdeutsche. In der Reformdebatte geht es darum, wie konkurrenzfähig das deutsche Sozial- und Wirtschaftssystem auf den Weltmärkten sein muss und welches Maß an Gerechtigkeit es sich leisten kann. Merkel und Platzeck messen der Wettbewerbsfähigkeit so viel mehr Bedeutung bei, dass sich mancher Westdeutscher über deren Zumutungen noch wundern wird.

Die Stichworte „Hartz IV“ und „Finnland“ beschreiben etwas davon, was die neue SPD unter Platzecks Führung unter Modernisierung verstehen könnte – eine Kombination aus Einschnitten in die alten Sozialsysteme, verbunden mit einer Bildungs- und Forschungsoffensive. Das ist kein schlechter Weg. Von allen Vorbildern, die man international finden kann, ist Finnland wahrscheinlich eines der besten.