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: „The Call“

Japanische Teenager erhalten Anrufe von ihrem eigenen Handy aus der Zukunft; was sie hören, sind sie selbst im Moment ihres baldigen Todes: die Prämisse von Takashi Miikes Horrorfantasie „The Call“ liest sich wie eine bizarre Variante auf den Toilettenspruch: Wer das liest, ist doof. Wer das hört, ist tot. Seine eigene Stimme als fremde zu hören ist auch im Medienzeitalter immer noch Grund subtilen Gruselns. Medien und Aufzeichnungsgeräte saugen Stimmen, Gesichter, Körper an und vermehren sie, schaffen unheimliche Doppelgänger, die schon vor 80 Jahren in Filmen wie „Der Student von Prag“ Gänsehaut auslösten.

Neu sind das Thema und die Ängste also nicht, neu ist die Fülle an ähnlich gestrickten Filmen, die so etwas wie ein Subgenre des Kinohorrors bilden: Neue-Medien-Horror, vorwiegend aus Japan, vermutlich weil hier wie in keinem anderen hochindustrialisierten Land traditioneller Gespenster- und technischer Fortschrittsglaube ohne Widerspruch nebeneinander existieren können. In den „Ring“-Filmen von Hideo Nakata ist es ein Videoband, das seine Betrachter zu Tode erschreckt, in Kiyoshi Kurosawas „Pulse“ (2001) eine Webcam. Miike zapft eine Erfolgsformel an und liefert einen neuen medialen Anlass: Spiel mir den Klingelton vom Tod.

Der Regisseur setzt in diesem Film auf herkömmlichen Suspense und auf subtile, oft über die Tonspur vermittelte Gruseleffekte als auf Transgression. Und er liefert einen satirischen Rundumschlag gegen die totale Medialisierung. Nicht nur Handys sind die Quelle des Übels. Videokameras zeichnen wie von selbst Gräueltaten auf. Ein Leichenbeschauer sammelt mit seiner Digitalkamera Bilder von Toten und katalogisiert sie in seinem Computer. Ein gewissenloser Fernsehproduzent überredet ein Mädchen, das einen Anruf erhalten hat, in seiner Fernsehshow live einen Exorzismus durchführen zu lassen. Die Sendung wird angekündigt mit der Schlagzeile: „Wird unser Team sie retten können?“ und über Großbildleinwände in die Straßen der Stadt übertragen. Im Straßenverkehr interessiert es dann kaum jemanden, wie das Mädchen auf der Bühne zu Tode kommt.

Miikes Medienkritik ist grundsätzlich: Sich zu vernetzen ist gefährlich. Die Freundinnen des nächsten angekündigten Opfers stehen Schlange, um ihre Nummern aus dem Handy-Speicher löschen zu lassen. Denn der tödliche Fluch verbreitet sich wie ein digitaler Virus, er greift sich einfach seine Opfer aus dem Adressbuch. Die sterblichen Überreste des bösen Geistes zu finden bringt keine Erlösung. Mediale Gespenster lassen sich nicht besänftigen, wenn ihre körperliche Hülle beerdigt wird. Sie leben einfach in den Geräten fort.

DIETMAR KAMMERER

„The Call“, Regie: Takashi Miike. Mit Kou Shibasaki, Shiichi Tsutsumi u. a., Japan 2003, 111 Min.