Kampf gegen die Zeit

Im Doping-Rechtsstreit zwischen der Exschwimmerin Karen König und dem Nationalen Olympischen Komitee offenbaren die ersten Zeugen erhebliche Erinnerungslücken

BERLIN taz ■ Es war ein unangenehmer Termin für Dorit Rösler, die ehemalige Ärztin der Schwimmabteilung des Berliner Sportclubs TSC. Dort war sie in den Achtzigerjahren beschäftigt, unter anderem mit der Vergabe von Dopingpillen, Oral-Turanibol, an Trainer, die die Präparate wiederum ihren Athleten unterschoben, zumeist ohne Deklarierung. 1998 wurde Rösler deswegen im so genannten TSC-Prozess vor dem Berliner Kriminalgericht verurteilt. Sie war geständig. Sie entschuldigte sich für ihr Tun. Am Dienstag musste Dorit Rösler erneut vor Gericht erscheinen, vor dem Amtsgericht Schöneberg – als Zeugin in der Klage der ehemaligen TSC-Schwimmerin Karen König gegen das Nationale Olympische Komitee. König, ehemalige Staffel-Weltrekordlerin, hat das NOK auf Schadenersatz verklagt, weil sie mit ihrem Rechtsanwalt Jens Steinigen „eine Anspruchskette formuliert“ hat, in der das NOK als „greifbarer Schuldner“ für das Erbe des DDR-NOK erscheint.

Nach der Wende flossen etwa 5,4 Millionen Mark an Vermögen der Altorganisation an das wiedervereinigte NOK. Die Fragen, die im zäh verlaufenden Prozess geklärt werden müssen, lauten: Ist Karen König geschädigt, also ein Dopingopfer? Und inwiefern war das damalige NOK am Dopingsystem beteiligt?

Dorit Rösler will oder kann sich an körperliche Schäden Karen Königs nicht erinnern; auch der geladene TSC-Trainer Bernd Christochowitz äußert sich so. Pillen habe sie vergeben, räumt Rösler ein, aber mehr trägt sie nicht zur Aufklärung bei. Verschüchtert verlässt sie den Saal 111. Bevor sie aus dem Gericht eilt, sagt sie: „Ich glaube, dass das NOK versagt hat.“ Und: „Die Sportler wurden im Regen stehen gelassen. Man kann nicht sagen, die DDR ist für die Betroffenen vorbei, wir leben ja alle noch.“ König wünsche sie eine Entschädigungszahlung – „falls sie Schäden hat“.

Der Nachweis könnte nach den dürftigen Zeugenaussagen zum Problem werden, weswegen der Anwalt der Gegenseite, Günter Paul, den Termin als Erfolg wertet. „Der Zusammenhang zwischen Doping und Gesundheitsschäden konnte nicht bewiesen werden“, sagt er. „Wir sehen über ein Dutzend Punkte, in denen das NOK zu Unrecht in Anspruch genommen werden soll.“ Dem weiteren Verlauf des Prozesses sehe er gelassen entgegen, sagt der langjährige Justiziar der Stiftung Deutsche Sporthilfe, der wiederholt durch polemische Aussagen aufgefallen ist. In einem Bericht des Spiegels höhnt er etwa: „Zarah Leander hatte auch eine tiefe Stimme, aber sie hat bestimmt nicht gedopt.“ Oral-Turanibol, die blauen Pillen, wirkt vermännlichend.

Nun behauptet Paul, im DDR-Sport sei es üblich gewesen, dass Eltern, Athleten und Trainer „vertrauensvolle“ Gespräche führten, in denen es keine Geheimnisse gegeben hätte. Damit stellt Paul in Abrede, dass es verstecktes Doping gegeben hat. „Das ist glatt gelogen“, entgegnet Karen König. Paul ist zudem der Meinung, dass die Ansprüche der Dopingopfer nach den Zahlungen der Bundesregierung – 193 DDR-Sportler haben jeweils 10.400 Euro erhalten – erledigt seien. Für Karen König ist es damit freilich nicht getan. Ihr Anwalt sieht den „deutschen Sport moralisch in der Pflicht – unabhängig von Frau König“.

Das NOK spiele auf Zeit, vermutet der ehemalige Biathlet. „Hier steht zu befürchten, dass das NOK den Kampf gegen das Vergessen gewinnen wird.“ Ein Gutachten soll nun die aktuell verbliebenen Schäden Königs bewerten. Das Papier eines Sachverständigen wird den Musterprozess wohl entscheiden. „Wir sind guter Dinge“, sagt Karen König nichtsdestotrotz.

MARKUS VÖLKER