Täglich fallende Kulturkurse

Theater als Bauernopfer, um politische Kämpfe auszufechten, die viel grundsätzlicher sind als ein Theateretat: Vorerst ist die Insolvenz des Bremer Theaters abgewendet, doch die Verhandlungen um Zugeständnisse der Mitarbeiter gehen weiter

Nicht nur Bremer, auch Externe sehen in dem Konflikt einen Stellvertreterkrieg

Bremen ist eine freundliche Stadt. Ein bisschen skandinavisch. Man duzt sich. Man fährt Fahrrad. Im Rest von Deutschland fällt den Leuten zu Bremen eher der letzte Platz im Pisa-Test ein. Dass es mit den Finanzen nicht gut aussieht. Und seit Neuestem: Dass es eine Bremer Theaterkrise gibt.

Bremen ist weder das erste noch das einzige Theater mit Finanzschwierigkeiten und Klaus Pierwoß nicht der erste Intendant, der sein Haus für unterfinanziert hält. Zwar übersteigt ein Defizit von 4,7 Millionen Euro bei einem Jahresetat von rund 24 Millionen Euro die üblichen Dimensionen. Doch das eigentlich Bemerkenswerte an der Bremer Auseinandersetzung ist der Verdacht, das Theater sei hier nur Bauernopfer – um politische Kämpfe auszufechten, die viel grundsätzlicher seien als ein Theateretat, der ungefähr dreimal so hoch ist wie der Zuschuss, mit dem man in Bremen gern einen Hotelneubau unterstützt.

Noch ist die Faktenlage erstaunlich dünn. Unstrittig ist, dass das Bremer Theater ein Defizit von rund 4,7 Millionen Euro hat. Strittig dagegen, wie es sich zusammensetzt und – vor allem – wer dafür verantwortlich ist. Mit der Zusage von Bremens Wirtschafts- und Kultursenator Kastendiek (CDU), dem Theater einen Überbrückungskredit von 1,9 Millionen Euro zu geben, ist die Insolvenz erst einmal abgewendet. Die 430 Mitarbeiter, die jetzt ihre ausstehenden Oktobergehälter bekommen sollen, haben sich im Gegenzug bereit erklärt, drei Jahre lang auf ihr Weihnachtsgeld zu verzichten. Bis Ende November soll ein Sanierungskonzept vorliegen.

Der Schlagabtausch zwischen Senator und Intendanten geht derweil weiter. Kastendiek gibt Pierwoß, dessen Vertrag bald zu Ende geht, eine Mitverantwortung am Defizit. Der Intendant beklagt nicht eingelöste Zahlungszusagen des Landes und beschuldigt den mittlerweile entlassenen Verwaltungsdirektor. Der wiederum verweist darauf, dass das Kulturressort seit langem über die Missstände Bescheid wusste. Warum weder die Kulturverwaltung noch der Aufsichtsrat, in dem neben Kastendiek die lokale Kulturpolitikprominenz sitzt, eingegriffen hat, weiß niemand. Man sei nicht – oder falsch – informiert worden, sagen die Politiker von SPD und CDU einhellig. Freundlicherweise sitzen sie bei der Solidaritätsveranstaltung für das Theater in der ersten Reihe und setzen mit dem Klatschen nur dann aus, wenn die Verantwortung des Aufsichtsrats angemahnt wird.

Auch bundesweit nimmt man Anteil. Der Pressesprecher des Theaters übertreibt ein bisschen, wenn er schreibt, dass der Saal bei der Solidaritätsveranstaltung voll besetzt war. Aber gut besucht war er doch, und die Solidaritätsschreiben, die man auf die Internetseite gestellt hat, reichen vom Blankoscheck aus dem Hause Jelinek – „Falls Sie irgendetwas planen – meinen Namen können Sie immer verwenden“ – bis zum Brief der „Kolleg/innen des Arbeitslosenzentrums Tenever“, die „wissen, wie es ist, wenn sowohl die Arbeitsplätze als auch die Einrichtung als Ganzes in Frage gestellt sind“. Damit kommt man zu der spannendsten Frage dieser Auseinandersetzung. Wer ist eigentlich gemeint? Nicht nur Bremer, auch Externe sehen in dem Konflikt einen Stellvertreterkrieg. „Das sieht nach politischer Strategie aus dem Finanzressort aus“, sagt Stephan Märki, Intendant aus Weimar. „Man konfrontiert das führungslose Theater mit Sparauflagen, die eine intakte Führung nie akzeptiert hätte.“

Seitdem Bremen in der Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas unterlegen ist, fällt der Kurs von Kultur täglich. Wo kein Übernachtungsgast zu erwarten ist, gibt man ungern Geld. Oder spielt den Mangel in den Kultureinrichtungen gegen den in den Schulen aus. Und schlägt zeitgleich eine Schneise für weitere Verhandlungen mit dem öffentlichen Dienst. Da kann schon etwas auf der Strecke bleiben. Und sei es nur das klare Bekenntnis zum Theater. FRIEDERIKE GRÄFF