Ein Segen, der zum Fluch wurde

Bei dem kenianischen Läufer Bernard Lagat hat es gegeben, was es nicht hätte geben dürfen: Einer positiven A-Probe war eine negative B-Probe gefolgt. Die Epo-Analytik hat das in Verruf gebracht. Zu Unrecht, wie Forscher Andreas Breidbach findet

„Die Tests sind gut genug – wenn sie gut gemacht werden –, um justiziabel zu sein“

VON RALF MEUTGENS

Der Rechtsanwalt sah sich als Sieger, und er tat dies auch kund. „Bernard Lagat ist rehabilitiert. Es ist ein Vergleich auf Augenhöhe und für uns ein Erfolg“, sagte Michael Lehner, auch wenn er zugeben musste: „Dass wir nun kein Geld mehr einklagen können, ist die Kröte, die wir schlucken müssen.“ In der Klageschrift hatte Lehner für seinen Mandanten, den Olympiazweiten von Athen über 1.500 Meter, Schadenersatz in Höhe von 500.000 Euro für entgangene Einnahmen gefordert, doch in diesem Punkt wollte das Landgericht Köln dem Juristen aus Heidelberg denn doch nicht folgen.

Davon abgesehen aber konnte sich Lagat in der Tat als Sieger fühlen. Und die Siegestrophäe, die er davontrug, war eine „Ehrenerklärung“ durch den Leichtathletik-Weltverband IAAF und die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Diese bescheinigt Lagat, nicht gedopt zu haben. Dass es daran Zweifel gegeben hatte, verdankt der Mann aus Kenia einer abweichenden Analyse: Bei einer Doping-Trainingskontrolle am 8. August 2003 war Lagat auf Epo getestet worden. Die im Kölner Institut für Biochemie untersuchte A-Probe erwies sich als positiv, das am 29. September 2003 festgestellte Ergebnis der B-Analyse fiel hingegen negativ aus. Für die Dopinganalytik bedeutet ein solcher Vorfall den GAU, für Lagat war es nicht minder unangenehm. Zumindest offiziell ist der Sportler nun reingewaschen. Was hingegen bleibt, ist die Frage: Wie zuverlässig sind eigentlich Dopingtests, speziell jene auf Epo?

Dabei steht das Medikament Erythropoietin, kurz Epo, annähernd symptomatisch für die Problematik des Anti-Doping-Kampfs. 1988 auf den Markt gebracht für Patienten, die wegen Nierenversagens auf eine Dialyse angewiesen waren, sprach sich die leistungssteigernde Wirkung des künstlich hergestellten Hormons, hervorgerufen durch eine erhöhte Bildung der Sauerstoff transportierenden roten Blutkörperchen, in Ausdauersportarten schnell herum. Was für die Medizin ein Segen war, nämlich die nahezu identische Form zu vom Körper selbst produziertem Epo, sollte sich für den Sport als Fluch entpuppen: Das künstlich hergestellte Epo war im Athletenkörper nicht nachweisbar. Zwar wurde es schon 1990 vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) auf die Verbotsliste gesetzt. Der erste justiziable Nachweis im Sport gelang jedoch erst 2001. Über zehn Jahre konnte also nicht überprüft werden, ob ein Sportler mit Epo gedopt hatte.

Mittlerweile ist der Epo-Nachweis zwar standardisiert, doch zuletzt auch in die Kritik geraten, auch weil es im einen oder anderen Fall gab, was es nicht hätte geben dürfen: Positiven A-Proben folgten negative B-Proben. Als Grund hierfür werden von findigen Rechtsanwälten meist individuelle Erkrankungen oder körperliche Besonderheiten der positiv getesteten Sportler angeführt, zum anderen wird das Nachweisverfahren an sich als vollkommen unzureichend bezeichnet.

Andreas Breidbach, der die Epo-Forschung im Anti-Doping-Labor in Los Angeles leitet, will beide Argumente so nicht gelten lassen. „Das bestehende Epo-Testverfahren ist gut genug – wenn es gut gemacht wird –, um justiziabel zu sein“, sagt er. Breidbach, einer der führenden Epo-Forscher weltweit, hegt jedenfalls keine Zweifel an der Aussagefähigkeit des bestehenden Testverfahrens. Seiner Ansicht nach beruhen abweichende Ergebnisse von A- und B-Proben entweder auf einer Fehlinterpretation der A-Probe – oder auf falsche Lagerung der B-Probe.

So hält es Breidbach prinzipiell „nicht für ausgeschlossen, dass es bei bestimmten Athleten oder bestimmten physiologischen Zuständen zu Untersuchungsergebnissen kommen kann, die von dem abweichen, was wir als normal verstehen. Aber die allein können nicht der Grund für eine positive Probe sein.“ Um solche Fälle beurteilen zu können, so der Wissenschaftler, müsse man über eine Menge Erfahrung verfügen. Und man müsse im Zweifelsfall Proben, von denen man zwar annehme, dass sie positiv seien, es aber nicht mit 100-prozentiger Sicherheit nachweisen kann, negativ geben. Die Wada hat für nächste Woche alle Labors, die Epo analysieren, zu einem Treffen in das Pariser Analyselabor geladen. Dort wollen sich die Dopingforscher mit der inkorrekten Anwendung der vorhandenen Analysekriterien befassen.

Für die Analytiker kommt erschwerend hinzu, dass es unter betrugswilligen Sportlern derzeit in zu sein scheint, den Urin bei der Probennahme mutwillig zu verschmutzen, zum Beispiel durch die heimliche Zugabe von Enzymen über die Finger beim Wasserlassen. Dies könnte dafür sorgen, dass die zeitnah zur Probenahme analysierte A-Probe positiv auffällt, die zur Bestätigung eingelagerte B-Probe sich in der Zwischenzeit aber zersetzt hat – und damit unbrauchbar geworden ist. Damit könnte auch die ungewöhnlich hohe Zahl nicht mehr analysetauglicher B-Proben erklärbar werden, die es zuletzt gegeben hat. Auch Breidbach hat beobachtet, dass „Proben mit nicht eindeutigen Ergebnissen zugenommen haben“.

Dass Epo trotz des bestehenden Nachweisverfahrens bei Sportlern unvermindert im Einsatz ist, gilt ohnehin als unumstößlicher Fakt. Doch auch die Wissenschaft ist weiter rührig. So hat die Forschungsgruppe um Breidbach einen verlässlichen Epo-Vortest entwickelt. Dieser soll verdächtige Proben herausfiltern, die dann weiter und genauer untersucht werden. Vorteil: Der neue Vortest, der ebenfalls auf einer Urinanalyse basiert, ist wesentlich schneller und weitgehend automatisierbar. Da er voraussichtlich auf Grundlage der Massenspektrometrie funktionieren soll, wäre er zudem erheblich kostengünstiger als die bisherige Analyse durch Antikörper, so dass mit dem vorhandenen Budget deutlich mehr Epo-Tests durchgeführt werden könnten als bisher.

Doch nicht allein Epo ist das Problem, sondern auch die Nachfolgemedikamente Dynepo, das bereits erhältlich ist, und Cera, das sich noch in der klinischen Erprobung befindet. Diese artverwandten Mittel könnten zwar, so Breidbach, mit großer Wahrscheinlichkeit schon mit den bestehenden Testverfahren analysiert werden, allerdings nur, wenn die Hersteller den Analyselabors eine Referenzsubstanz zu Verfügung stellen würden. „Dies ist meines Wissens nach noch nicht geschehen“, so Breidbach. Sowohl die Wada als auch Hersteller wie La Roche hüllen sich trotz aktueller Anfragen in Schweigen.

Weitere Probleme für die Analytiker könnten sich freilich auch aus der illegalen Herstellung von Epo sowie modifiziertem Epo ergeben. So ist seit Jahren schon bekannt, dass dimeres, also doppeltes Epo, um ein Vielfaches wirkungsvoller ist als das herkömmliche, monomere Epo. „In Tierversuchen hat dieser Wirkmechanismus bereits beeindruckend funktioniert“, berichtet Breidbach, der befürchtet: „Ähnlich wie bei dem Designersteroid THG dürfte es bei genügend krimineller Energie und ausreichender Finanzierung kein Problem sein, dimeres Epo zu produzieren, um es im Leistungssport zu missbrauchen.“ Der Vorteil: Es wäre nur noch eine erheblich geringere Dosierung notwendig als bei herkömmlichem Epo. Die Folge: „Eine größere molekulare Struktur verringert zusätzlich die nachweisbare Menge im ausgeschiedenen Urin.“ Zwar will Breidbach nicht per se bestätigen, dass dimeres Epo unauffindbar sei. Aber auch er stellt fest: „Es ist schwieriger zu analysieren als herkömmliches. Und das bestehende Epo-Nachweisverfahren ist dafür noch nicht ausgelegt.“

Ganz ähnlich verhält sich die Problematik bei THG. Ob das in den USA hergestellte und eher zufällig entdeckte Designersteroid ein Einzelfall war, gilt nach wie vor als nicht gesichert. Chemisch ist die Herstellung anderer, leicht veränderter Steroide jedenfalls kein Problem. Und solange die Analytiker nicht wissen, wonach sie suchen sollen, können sie den entsprechenden Stoff auch nicht finden.