Die Nazi-Saison ist eröffnet

Mit dem Aufmarsch in Potsdam beginnt für die Brandenburger heute die heiße Nazi-Phase. Potsdam befürchtet 500 Neonazis, Halbe muss nächste Woche mit bis zu 3.000 Rechtsextremisten rechnen

von FELIX LEE

Damit hatte vor einem Jahr niemand gerechnet. Etwa 100 Neonazis hatten die Potsdamer beim Nazi-Aufmarsch vor einem Jahr erwartet. Am Ende brachte der Hamburger Rechtsextremist Christian Worch doppelt so viele seiner Anhänger auf die Straße. Eine Woche später sollte es noch schlimmer kommen. Beim alljährlichen „Heldengedenken“ in Halbe (Dahme-Spreewald) pilgerten 1.600 Neonazis zum größten deutschen Soldatenfriedhof etwa 60 Kilometer südlich von Berlin, mehr als doppelt so viel wie 2003.

Doch was sich in diesem Jahr sowohl heute in Potsdam als auch in einer Woche in Halbe abspielen könnte, dürfte alles bisherige in den Schatten stellen. Mit bis zu 3.000 Neonazis rechnen die Sicherheitskräfte am 12. November in Halbe. Der Aufmarsch würde damit die größte Neonazi-Veranstaltung in Berlin-Brandenburg seit Ende des Zweiten Weltkriegs werden.

Trotzdem wiegelt das Innenministerium in Brandenburg ab. Der „Heldengedenktag“ sei eine Veranstaltung, zu der bundesweit mobilisiert werde, sagte der stellvertretende Sprecher des Innenministeriums Wolfgang Brandt. Worch agiere bundesweit und von den mehreren tausend erwarteten Neonazis sei „nur der deutlich kleinere Teil aus Brandenburg“. „Halbe ist nicht Ausdruck der Neonazi-Struktur in Brandenburg“, so das Fazit des Sprechers von Innenminister Jörg Schönbohm (CDU).

Solch verharmlosenden Töne ist man von den verantwortlichen Behörden in Berlin nicht gewohnt. Hier wissen Verfassungsschutz und Innenverwaltung, dass es natürlich von den Neonazi-Strukturen vor Ort abhängt, wie groß ein Aufmarsch ausfällt.

Allein die rechtsextrem motivierten Übergriffe der vergangenen Monate zeigen, dass die Realität in Brandenburg eine ganz andere ist als vom Brandenburger Innenministerium dargestellt: Im September überfielen Neonazis den Kulturpavillon in Cottbus, weil dort ein Theaterstück gegen Fremdenfeindlichkeit aufgeführt wurde. Während der Babelsberger Live-Nacht wurden linke Jugendliche von einem bewaffneten Nazi-Mob durch die Straßen gejagt. Und nach einem Fest attackierten 15 Neonazis zwei Besucher und schlugen sie krankenhausreif.

Im Potsdamer Raum kommen die Täter vor allem aus dem Umfeld der gewaltbereiten „Anti-Antifa Potsdam“ und den verbotenen Berliner Kameradschaften Tor und Baso, die seit dem Verbot verstärkt in Brandenburg ihr Unwesen treiben (siehe Interview). In Brandenburgs Nordosten gehen die meisten rechtsextremen Aktivitäten auf das Konto des „Märkischen Heimatschutzbunds“ (MHS). Knapp 50 Mitglieder zählt die Kameradschaft um den Neonazi Gordon Reinholz aus Eberswalde. Seit einem Jahr ist der MHS auch in Berlin aktiv.

Trotz des unerwartet hohen Mobilisierungspotenzials letztes Jahr in Potsdam – weit kamen die Neonazis nicht. Tausend Gegendemonstranten hatten die Marschroute der Neonazis blockiert. Worchs Anhänger mussten nach Babelsberg ausweichen. In diesem Jahr sollen es doppelt so viele Gegendemonstranten werden.