„Es finden mehr Aufmärsche statt denn je“

Trotz des Verbots durch den Innensenator existieren Kameradschaften informell wie gehabt, sagt Dominik Rinks vom Antifaschistischen Pressearchiv. In Berlin rückten zudem Kameradschaftsszene und NPD wieder enger zusammen

taz: Herr Rinks, vor sieben Monaten hat der Innensenator die beiden größten Kameradschaften in Berlin verboten. Was haben diese Verbote bewirkt?

Dominik Rinks: Nicht viel. Zwar waren die Kameradschaften Tor und Baso tatsächlich kurze Zeit irritiert. Aber diese Phase ist vorbei. Es finden mehr Aufmärsche und Aktionen statt denn je.

Was ist schief gelaufen?

Verbote von Kameradschaften können nichts bewirken, weil sie keine festgelegten Organisationen sind, sondern eher Freundeskreise, die sich informell zusammenschließen. Es war schon vorher klar: Das lässt sich schwer verbieten. Offiziell gibt es die Kameradschaft Tor zwar nicht mehr, tatsächlich machen sie weiter wie gehabt. Intern nutzen sie sogar den alten Namen.

In den vergangenen Monaten konnte eine andere Kameradschaft Fuß fassen: der Märkische Heimatschutz (MHS) aus Brandenburg. Sind das die Nachfolger von Tor und Baso?

Die Berliner Sektion vom MHS gibt es bereits seit einem Jahr, also bevor Tor und Baso verboten wurden. Es sind also unterschiedliche Personenkreise, die jedoch eng verquickt sind. Zum Beispiel findet seit einiger Zeit ein monatliches Vernetzungstreffen aller Berliner Kameradschaften statt.

Wie groß ist der Einfluss der Berliner MHS dort?

Öffentlich sind die etwa 12 bis 15 Mitglieder des MHS bisher selten in Erscheinung getreten. Was den MHS so gefährlich macht, sind die nach innen gerichteten organisatorischen Bestrebungen. Sie vernetzen die Szene, kooperieren eng mit der NPD und fügen sich in die Gesamtorganisation des MHS in Brandenburg ein. Dort sind sie mit knapp 50 Mitgliedern inzwischen die einflussreichste Kameradschaft.

Diese Koordinationstreffen finden in der NPD-Bundeszentrale in Köpenick statt. Dabei waren sich freie Kameradschaften und NPD in Berlin bis vor kurzem noch spinnefeind.

In den vergangenen Jahren waren die NPD-Landesverbände in Berlin und Brandenburg relativ schwach. Die Leute vom Kameradschaftskoordinierungstreffen haben die NPD-Jugendorganisation JN in Berlin wiederbelebt – im Gegenzug durfte MHS-Chef Gordon Reinholz auf der NPD-Liste für den Bundestag kandidieren. Der Aufmarsch vor zwei Wochen in Pankow war dann erstmals wieder vom Berliner Landesverband der JN organisiert. Ich gehe zwar davon aus, dass viele Kameraden weiterhin skeptisch gegenüber Parteien bleiben. Sie haben aber ein funktionales Verhältnis entwickelt: Die militanten Kameradschaften helfen der personalschwachen NPD, die stellt Räume bereit. Nicht zuletzt der MHS hat NPD und Kameradschaftsszene wieder zusammengebracht.

Das heißt, die von Rechtsextremen propagierte Volksfront-Strategie findet zumindest in Berlin und Brandenburg ihre Umsetzung?

Ich denke nicht, dass das Wort „Volksfront“ angebracht ist. Mit dem Begriff meinen die extrem Rechten mehr, nämlich die Entwicklung größerer gesellschaftlicher Relevanz durch Konzentration ihrer Kräfte. Die Volksfront sollte ja unter anderem den Einzug in den Bundestag bewirken. Dies hat ja bekanntlich nicht geklappt. INTERVIEW: FELIX LEE